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Versorgungssicherheit

E.on: Konsequent auf Wärmepumpe + Photovoltaik umsteigen

Jahrelang hat die Gaswirtschaft versucht, die Wärmepumpe klein zu reden. Inzwischen wird immer deutlicher, dass Gas-Heizungen nicht zukunftsfähig sind.

Hermann – stock.adobe.com

Jahrelang hat die Gaswirtschaft versucht, die Wärmepumpe klein zu reden. Inzwischen wird immer deutlicher, dass Gas-Heizungen nicht zukunftsfähig sind.

Der Energieversorger E.on spricht Klartext: Durch einen Umstieg auf Wärmepumpen, Photovoltaik und bewussteres Heizen kann die Abhängigkeit von Erdgas aus Russland entscheidend gesenkt werden.

Ein konsequenter Umstieg auf Wärmepumpen in der Gebäudeheizung, ein deutlicher Ausbau von Photovoltaik sowie ein bewussteres Heizen sind entscheidende Stellschrauben, mit denen Privathaushalte einen gewichtigen Beitrag für eine größere Unabhängigkeit von Gas-Importen aus Russland leisten könnten. Das geht aus einer Berechnung von E.on-Datenexperten hervor, die kurzfristig und langfristig mögliche Maßnahmen kombiniert haben.

Einsparpotenzial von 103 TWh Erdgas

Filip Thon, CEO der E.ON Energie Deutschland GmbH: „Würden rein rechnerisch 10 % der Wohnhäuser in Deutschland mit Photovoltaik-Anlagen ausgestattet, 20 % der privaten Gas-Heizungen durch Heizungs-Wärmepumpen ersetzt und würde in allen übrigen Wohnungen bzw. Häusern mit Gas-Heizungen die Raumtemperatur beim Heizen um durchschnittlich 1 °C abgesenkt, ergäben sich dadurch Einsparungen von insgesamt 103 TWh Erdgas pro Jahr.“ Mit diesem Wert könnten rund 29 % der Erdgasmenge ersetzt werden, die Deutschland zum aktuellen Zeitpunkt aus Russland importiert, bzw. 34 %, sollte die Importmenge um weitere 5 Prozentpunkte bis Jahresende gesenkt werden.

Thon: „Unsere Analyse zeigt, dass ein kluger Mix aus direkt möglichen Einsparungen sowie der längerfristige und aufwändigere Umstieg auf moderne Energielösungen wie Wärmepumpen und Photovoltaik in Privathäusern ein enormes Potenzial hat, wenngleich es sich zweifellos um einen Kraftakt über einen längeren Zeitraum hinweg handelt. Von den Maßnahmen würde auch das Klima profitieren, denn mit den genannten Schritten könnten jährlich mehr als 18 Mio. Tonnen CO2 eingespart werden.“

Aus Verbrauchsicht gilt eine Wärmepumpe-Photovoltaik-Kombination als besonders zukunftssicher.

So hat E.on gerechnet:

Grundlage für die Berechnung ist der Bestand an Wohngebäuden in Deutschland sowie im Bereich der Heizungsumstellung der Anteil an Haushalten mit Gas-Heizung. Angenommen wurde, dass 20 % der bisher mit Gas beheizten Gebäude vollständig auf Wärmepumpe oder einen anderen nicht-fossilen Energieträger umgestellt werden. Im Bereich Photovoltaik nehmen die Experten an, dass jedes zehnte Wohnhaus in Deutschland neu mit einer Solarstrom-Anlage ausgestattet wird und deren Erzeugung den bisher mit Gaskraftwerken produzierten Strom ersetzen, sodass die Stromerzeugung durch Gas um etwa 18 % gesenkt wird.

Die zum Vergleich herangezogene Menge an aktuellen Gasimporten aus Russland stützt sich auf die Äußerungen der Bundesregierung, wonach der Anteil der Gasimporte aus Russland rund 35 % beträgt und bis Jahresende eine weitere Reduzierung auf nur noch 30 % anvisiert ist, siehe auch: Abhängigkeit bei Erdgas aus Russland beträgt noch 35 %

Der errechnete Wert von 103 TWh Erdgas entspricht ungefähr den Mengen der nicht kurzfristig substituierbaren Gas-Importe aus Russland nach Analysen des Think-Tanks Energy Brainpool (18. März 2022). Die Analysten haben berechnet, dass Deutschland bei einer europäischen Verteilung der restlichen Erdgasmengen, seinen Erdgasverbrauch um 100 TWh/a senken muss, um unabhängig von russischen Erdgasimporten zu werden.

Experteneinschätzungen zu einem Gas-Lieferstopp

Die ökonomischen Auswirkungen des Ukraine-Kriegs auf die Energieversorgung in Deutschland waren am 9. Mai. 2022 Thema einer öffentlichen Anhörung im Bundestagsausschuss für Klimaschutz und Energie. Die Mehrheit der insgesamt 13 Sachverständigen hat vor einem Gas-Embargo gewarnt und verwies auf die drastischen Folgen, die vor allem eine „schockartige Unterbrechung von russischen Gaslieferungen“ hätte. Wirtschaft und private Verbraucher müssten sich auch ohne Lieferunterbrechungen auf weiter steigende Energiepreise einstellen.

Tom Krebs, Professor für Makroökonomik an der Universität Mannheim, warnte bei einem sofortigen Lieferstopp von Gas durch Russland „im ungünstigsten Fall“ vor einer „Krise, die Deutschland noch nie erlebt hat“. Nicht nur die sozialen Folgen wären stärker als bei der Finanzmarktkrise 2009 und bei der Corona-Pandemie 2020, ein Minus von 5 % des Bruttoinlandsprodukts und darüber hinaus stände im Raum.

Auch Karen Pittel, Professorin für Volkswirtschaft und Leiterin am ifo-Zentrum für Energie, Klima und Ressourcen, mahnte, dass ein Zusammenbruch der Erdgasversorgung auf jeden Fall vermieden werden müsse. Dazu seien Reduzierungen des Gas-Verbrauchs von Wirtschaft und privaten Haushalten nötig, aber auch die Suche nach Alternativen, beispielsweise der Aufbau einer Versorgung über LNG-Terminals.

Jens Südekum, Professor für Internationale Volkswirtschaftslehre an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK), gab zu bedenken, dass die aktuellen Berechnungen zu Szenarien eines Gas-Lieferstopps Verluste von 3 bis 9 % sähen. Das seien jedoch Berechnungen, die keinen „schockartigen Lieferstopp miteinbeziehen“, da ein Sofortstopp sehr schwer hervorsehbare Folgen hätte. Südekum plädiert für die Ausweitung von Anpassungsmaßnahmen, wie sie derzeit bereits laufen, zum Beispiel die Suche nach alternativen Lieferanten und der Aufbau einer eigenen Infrastruktur.

Einen anderen Weg schlug Professor Hans-Jürgen Kretzschmar, Technische Universität Bergakademie Freiberg und Experte für Untertagespeichertechnik, vor. Er sprach sich für Fracking in Deutschland aus. Bodenschätze gebe es genug, und die Arbeiten der Erkundung, wie viel Gas gewonnen werden könnte, würden rund ein Jahr dauern.

Kerstin Andreae, Vorsitzende der Hauptgeschäftsführung des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), hat noch eine andere Idee. Sie verwies auf eine Studie, die ihr Haus erst kürzlich veröffentlicht habe, wonach 20 % Gas eingespart werden könnten. Zusammen mit einem Auffüllen der Gasspeicher würde es im Winter dann bei Unternehmen und bei privaten Verbrauchern nicht zu Versorgungsengpässen kommen.

„Die Energiepreise werden massiv steigen“

Auch Carsten Rolle, Leiter der Abteilung Energie- und Klimapolitik beim Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), und Sebastian Bolay, Leiter Referat Energiepolitik Deutscher Industrie- und Handelskammertag (DIHK), sprachen sich für Einsparungen aus. Beide forderten allerdings auch, Kohlekraftwerke länger laufen zu lassen, und gaben zu bedenken, dass das bisherige Wirtschaftsmodell „Russland als Lieferant für Erdgas und Erdöl“ nicht länger funktioniere. Die Transformation werde dazu führen, dass „die Energiepreise massiv steigen“, für Wirtschaft und für die Verbraucher.

Von Seiten der Industrie kamen Warnungen, welche Folgen ein Lieferstopp Russlands hätte. Einige Unternehmen stellten bereits jetzt Planungen an, ihre Produktion in die USA zu verlegen. Andreas Niedermaier, Vorstandsvorsitzender Alzchem Group AG, ein Chemieunternehmen mit Sitz im oberbayerischen Trostberg im Landkreis Traunstein, berichtete über solche Maßnahmen. Sein Unternehmen stelle nicht nur Vorprodukte für Coronatests und Produkte für Krebs- und Aids-Medikamente her, sondern auch Gaschemikalien für Airbags in Autos. Alzchem verbrauche rund 700 GWh/a Strom, der Verbrauch, den in etwa 160 000 Haushalte haben. Bereits in diesem Jahr habe das Unternehmen 80 bis 100 Mio. Euro Kostensteigerungen, bei einem Umsatz von knapp 480 Mio. Euro. Sollte es in den nächsten Wochen oder Monaten zu einem Gas-Lieferstopp kommen, würde das die Fertigung stilllegen.

Entwicklung des Erdgasabsatzes nach Abnehmern in Deutschland, 2011 bis 2021.

BDEW

Entwicklung des Erdgasabsatzes nach Abnehmern in Deutschland, 2011 bis 2021.

Eine solche Entwicklung hätte für die Firmen, die Johann Overath, Hauptgeschäftsführer Bundesverband Glasindustrie, vertritt, „einen Totalschaden“ zur Folge. Glaswannen könnten nicht einfach heruntergefahren werden, weil die Wannen nicht wieder zu verwenden seien. Der Aufbau neuer Glaswannen würde mehrere Jahre dauern. Die Branche habe 54 000 Arbeitsplätze in Deutschland und einen Umsatz von 10 Mrd. Euro. Hergestellt würden neben Glasscheiben auch Getränkeverpackungen. Die deutsche Glasindustrie habe in Europa einen Anteil von 20 %. „Wir sind zu 100 % auf Gaslieferungen angewiesen.“

Noch größere Verwerfungen fürchten die Stahlunternehmen. Roderik Hömann, Leiter der Energie und Klima bei der Wirtschaftsvereinigung Stahl, gab an, dass 87 000 Arbeitsplätze bei einem Lieferstopp vor dem Aus stünden. Eine Reduzierung der Stahlproduktion würde nicht nur den Automobilbau, sondern auch die geplanten Maßnahmen zum Erreichen der Klimaziele verlangsamen oder beeinträchtigen. Es gelte zweispurig zu fahren: Gas einzusparen und Gasvorkommen zu heben.

Die Verbrauchervertretungen mahnten zu mehr und weiteren Entlastungen. Frederik Moch, Leiter der Abteilung Struktur-, Industrie- und Dienstleistungspolitik im Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB), verwies auf steigende Energiepriese, die „Private und Industrie belasten“. Das behindere zum einen die nötige Transformation und werde immer mehr „zur sozialen Frage“. Bei möglichen Lieferstopps werde es zu erheblichen wirtschaftlichen Einschränkungen kommen. Das werde auch Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt haben, und erstmals seit vielen Jahren seien auch hochqualifizierte Arbeitnehmer bedroht. Auswirkungen eines Lieferstopps von Energie, werde die gesamte EU spüren und das werde eine Destabilisierung der liberalen Demokratie zur Folge haben.

„Raten dringend von einem Verzicht auf russisches Gas ab“

„Wir raten dringend davon ab, auf russisches Gas heute oder morgen zu verzichten“, sagte Klaus Müller, Präsident der Bundesnetzagentur. Trotzdem sei die Lage erkannt und Krisenstäbe und Krisenzentren seien im Aufbau. Um an belastbare Daten zu kommen, laufe derzeit eine Umfrage zum Energieverbrauch. Die Bundesnetzagentur ermittle unter großen Gasverbrauchern die Bedarfe, auch um sich ein Bild davon zu verschaffen, welche Unternehmen systemrelevant sind oder durch eine Unterbrechung oder Reduzierung der Gaszufuhr besonders große Schäden erleiden würden.

Aufzeichnung der öffentlichen Anhörung in der Bundestag-Mediathek. ■

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