Der Anteil von E-Autos in Deutschland ist noch gering und die Zahl von E-Autos, die bidirektional laden können, ist gemessen am Pkw-Bestand statistisch fast vernachlässigbar. Trotzdem könnten sie und ihre Funktionalität einen erheblichen Beitrag für das Stromsystem leisten.
Der Artikel kompakt zusammengefasst
■ Anfang 2024 waren mehr als 166 000 in Deutschland zugelassene E-Autos „bidi-ready“ (rund 12 % aller BEV, ohne Hybrid).
■ Würde man 60 % der Bidi-Akku-Kapazität zu einer Schwarmbatterie kombinieren, könnte sie rechnerisch die Stromerzeugung mehrerer Gas-Kraftwerke bzw. die Stromversorgung von Millionen Haushalten über mehrere Stunden übernehmen.
■ Überschlagsrechnungen zeigen, dass die heute theoretisch verfügbare Bidi-Akku-Kapazität auch bei einer Vervielfachung den Brennstoffeinsatz für die Stromerzeugung in Gas-Kraftwerken erheblich verringern könnte.
Der Bestand an bidirektional-fähigen E-Autos, die Strom nicht nur aufnehmen, sondern auch später zurückspeisen können, wächst stetig. Gleichzeitig sind bidirektional-fähige Wallboxen auf dem Weg in den Endkundenmarkt. Bereits für den einzelnen Nutzer ist die „Energiespeicherung auf Rädern“ sehr interessant. In einem größeren Rahmen gibt es aber viel weitergehende Chancen.
„Mehr als 166 000 E-Autos in Deutschland sind bereits ‚bidi-ready‘, also vorbereitet für das bidirektionale Laden. Ein flächendeckender, umfassender Einsatz der Technologie ist aktuell in der Erprobung“, berichtet Filip Thon, CEO von E.on Deutschland. „Unsere Potenzialanalyse ergibt, dass eine solche Schwarmbatterie aus den aktuell schon zugelassenen Fahrzeugen rechnerisch bereits genug Strom speichern könnte, um 1,75 Mio. Haushalte 12 h lang mit Energie zu versorgen. Das zeigt, wie sinnvoll es ist, den ohnehin vorhandenen E-Auto-Akku nicht nur für das Fahren, sondern als integrierten Teil unseres Energiesystems zu verstehen und zu nutzen.“
Für die Berechnung 1) hat E.on den aktuellen Fahrzeugbestand in Deutschland mit Blick auf Bidirektionalität untersucht, eine durchschnittliche Batteriegröße von 61 kWh zugrunde gelegt und angenommen, dass 60 % der Akku-Kapazitäten nachts flexibel zur Verfügung stehen. Daraus ergibt sich ein Speicherpotenzial in der „Schwarmbatterie“ von 6075 MWh und somit ein nutzbares Rückspeisepotenzial von knapp 5500 MWh pro Entladezyklus.
Selbst wenn nur ein Viertel der Akkukapazität für die bidirektionale Nutzung freigegeben wäre, könnten rund 2300 MWh genutzt werden – genug um 730 000 Haushalte eine Nacht lang zu versorgen. Bei der Berechnung ist zu berücksichtigen, dass der versorgte Durchschnittshaushalt mit einem Netzbezug von 2500 kWh/a angesetzt ist, die zurzeit für das bidirektionale Laden prädestinierten Einfamilienhaushalte jedoch einen Stromverbrauch im Haushalt ohne Raumwärme von eher 3500 bis 4000 kWh/a aufweisen.
Ein bidi-ready-E-Auto kann 11 Haushalte eine Nacht mit Strom versorgen
Nicht nur in der Masse, auch in der Einzelbetrachtung beeindruckt das Potenzial: Der Stromverbrauch eines einzelnen deutschen Haushalts liegt von 17:30 Uhr bis 5:30 Uhr bei durchschnittlich 3,12 kWh (das entspricht einer durchschnittlichen Leistung von 260 W). Ein einziges bidirektional-fähiges Auto, das über eine bidirektionale Wallbox verbunden ist und 60 % seiner Akku-Kapazität (also 36,6 kWh) freigibt, könnte in diesem Zeitraum rechnerisch fast 11 Durchschnittshaushalte mit Strom versorgen, wenn man einen Umwandlungsverlust von 10 % annimmt.
Großes Einsparpotenzial in Gas-Kraftwerken pro Entladezyklus
Durch eine künftige flächendeckende Nutzung dieser Technologie könnte das Hochfahren von flexiblen Kraftwerken zur schnellen Deckung der Stromnachfrage deutlich verringert werden. Wenn der aktuelle bidirektional ladefähige Fahrzeugbestand 60 % der Batteriekapazität freigibt, reicht diese Energie, um kurzfristig 5 h lang 2,9 Mio. Haushalte mit elektrischer Energie zu versorgen. Das entspricht fast der Leistung von vier großen Gaskraftwerken, die dafür stillstehen könnten. Fast 1 Mio. m3 Erdgas und somit 2000 t an CO2-Emissionen pro Einsatz könnten so vermieden werden.
Zum Vergleich: Die Stromerzeugung aus Erdgas in Deutschland lag vor 2022 bei etwa 90 Mrd. kWh/a und ab 2022 bei etwa 80 Mrd. kWh/a, jeweils brutto in den Kraftwerken der Stromversorger, in Eigenanlagen der Industrie sowie in BHKW sonstiger Betreiber. Monatlich variiert die Stromerzeugung zwischen minimal 4,7 und maximal 9,9 Mrd. kWh. Nimmt man eine gleichmäßige Verteilung auf 30 Tage an, ergibt sich eine Bruttostromerzeugung aus Erdgas zwischen 156 000 und 330 000 MWh/d. Trotz der erst geringen Verbreitung von Bidi-ready-E-Autos hätten 5500 MWh/d bereits rechnerisch ein Verdrängungspotenzial von 1,8 bis 3,7 %.
Der Überschlag zeigt folgendes: Das aktuell von E.on ermittelte, prinzipiell aktivierbare Potenzial wird an nahezu jedem einzelnen Kalendertag, an dem die Bidi-ready-E-Autos tagsüber mit „grünem“ Überschussstrom geladen werden können, nachts oder auch zu Spitzenbedarfszeiten vollständig anrechenbar sein und einen Unterschied für das Gesamtsystem machen. Weiterhin ist ersichtlich, dass diese Ableitung auch noch bei einer um den Faktor 10 bis 20 höheren aktivierbaren Bidi-Akku-Kapazität zutrifft.
79 % der E-Auto-Fahrer mit Eigenheim wollen bidirektional laden
Eine Umfrage 2) von E.on, durchgeführt vom Meinungsforschungsinstitut Civey zeigt, dass 79 % der E-Autofahrer mit eigenem Haus offen für das bidirektionale Laden sind. Bei denjenigen, die eine Photovoltaik-Anlage auf dem eigenen Dach haben, sind es sogar 83 %.
Mit Pilotprojekten oder ersten Angeboten sind viele Energieunternehmen bereits im Bereich bidirektionales Laden aktiv. Auch aufgrund der stärkeren Verbreitung von flexiblen Stromtarifen und ab April 2025 mit dem Modul 3 auch von zeitvariablen Netznutzungsentgelten für steuerbare Verbrauchseinrichtungen wird bidirektionales Laden immer attraktiver. Die dann vorhandenen Preissignale orientieren sich allerdings nicht einheitlich und sind künftig auch auf Verteilnetzeben und geografisch unterschiedlich, sodass für den „großen Rahmen“ vermutlich noch weitergehende Steuerungen für eine systemdienliche und emissionsmindernde Bewirtschaftung von Bidi-Akku-Kapazitäten erforderlich sind.
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1) Quellen für die Berechnung: Bestand bidirektional vorbereiteter Fahrzeuge: Herstellerangaben, ADAC und KBA (Fahrzeugbestand Deutschland am 1. Januar 2024, veröffentlicht am 30. Juli 2024); Verbrauch Haushalt: Standardlastprofil eines durchschnittlichen Haushalts (mit Gesamtverbrauch 2500 kWh/Jahr); Leistung und Verbrauch Gaskraftwerke: Bundesnetzagentur.
2) Bundesweite Umfrage unter mehr als 1500 Hausbesitzerinnen und -besitzern mit E-Auto, durchgeführt von Civey im Auftrag von E.on Deutschland vom 18. September bis 5. Oktober 2023.
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