„Beim „Green Paper Transformation Gas-/Wasserstoff-Verteilernetze“ geht es nicht um eine vorbeugende Stilllegung von Gasverteilnetzen. Es geht darum, chaotische Verhältnisse aufgrund der notwendigen Stilllegung bestimmter Gasverteilnetze zu vermeiden.“
GV
Die Gasverteilernetze dienen heute vorrangig der Versorgung mit Erdgas zur Wärmeerzeugung in Haushalten, Industrie und Unternehmen aus den Bereichen Gewerbe, Handel und Dienstleistungen sowie von lokalen Gaskraft- und Heizkraftwerken. In welchem Umfang diese Gasverteilernetze künftig noch benötigt werden, wird unter anderem davon abhängen, inwieweit sie zur Verteilung von Wasserstoff verwendet werden können und sollen. Dafür sind heute noch viele Fragen offen, erfordern aber eine zeitnahe Beantwortung.
Die Herausforderung lässt sich mit einer einfachen Abschätzung umreißen: Verabschieden sich beispielsweise analog zu den Ausbauplänen für Heizungs-Wärmepumpen innerhalb weniger Jahre 2,5 Mio. Gas-Heizungen aus der Kundenliste der Gaswirtschaft, betrifft dies insbesondere das regulierte Geschäftsmodell der Gasverteilnetzbetreiber. Entfällt pro Heizungsumstellung eine Gasabnahme von 20 000 kWh/a, sind es in der Summe 50 Mrd. kWh/a.
Bei einem konstanten Netzentgelt von heute rund 2 Ct/kWh würden den Netzbetreibern so 1 Mrd. Euro/a fehlen. Gleichzeitig sollen sie aber erhebliche Investitionen für eine Transformation leisten. Um die Größenordnung zu verdeutlichen: Die Investitionen der Gasversorger in die Gasinfrastruktur in Deutschland beliefen sich im Jahr 2023 auf etwa 3 Mrd. Euro. Der Bedarf wird künftig deutlich steigen.
Ausdünnung kann Dominoeffekt auslösen
Die Ausdünnung der Gasmenge wird je nach Kundenstruktur und den für die Heizungsbetreiber vor Ort verfügbaren Alternativen sehr unterschiedlich ausfallen. In der Konsequenz bedeutet dies, dass in stärker betroffenen Netzgebieten schon bald Netzentgelte erhoben werden müssten, die einen Dominoeffekt auslösen. In der Folge wird das existierende Gasverteilnetz wertlos und seine Stilllegung wird weitere Kosten verursachen.
Bisher ist der gesetzliche und regulatorische Rahmen auf solche Szenarien kaum vorbereitet. So besteht die Gefahr, dass Kosten auf Dritte oder die Gesellschaft übertragen werden – und dann ein Vertrauensverlust bewirkt, dass auch dort, wo Gasnetze langfristig eine sinnvolle Lösung sind, zu viele Kunden für einen wirtschaftlichen Weiterbetrieb verunsichert abspringen.
Den Interessen aller Marktbeteiligten gerecht werden
Bei der erwartungsgemäß mit Schieftönen, wie „Robert Habeck will jetzt die Gasnetze stilllegen“ begleiteten Vorlage des „Green Paper Transformation Gas-/Wasserstoff-Verteilernetze“ geht es also nicht um eine vorbeugende oder verordnete Stilllegung von Gasverteilnetzen, sondern um eine Erörterung, wie ein Rahmen für einen geordneten Rückzug gesetzt werden kann, der den Interessen aller Marktbeteiligten gerecht wird. Dass dieser Rahmen erforderlich ist, zeigen bereits erste Ankündigungsschreiben von Gasverteilnetzbetreibern mit zehn Jahren Vorlauf. Das klingt lange. Für die Investition in eine neue Kundenanlage sind zehn Jahre aber keine Perspektive, sondern im Normalfall ein Ausschlusskriterium.
In Deutschland gibt es heute etwa 700 Gasverteilnetzbetreiber und damit ähnliche viele unterschiedliche Perspektiven. Wer im Green Paper nur die Einleitung liest, wird schnell erkennen, wie komplex die Aufgabe ist, wie dringend notwendig sie ist und wie groß die damit verbundenen Herausforderungen sind. Man wird auch ohne Kristallkugel ein Gefühl dafür bekommen, dass der geordnete Rückzug schon bald zum Normal- und nicht zum Sonderfall wird. Wasserstoff und Biomethan werden die Fallzahl verringern, aber nicht den Fortbestand aller Gasnetze sicherstellen können. Die Wärmeplanungen werden bald eine Tendenz aufzeigen.
Jochen Vorländer
Chefredakteur TGA+E Fachplaner
vorlaender@tga-fachplaner.de
Alle TGAkommentare finden Sie im TGAdossier TGA-Leitartikel
PDF-Download: Green Paper Transformation Gas-/Wasserstoff-Verteilernetze
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