„LNG aus der Förderung von Erdgas kann nur eine Notlösung sein, weil die Verwendung von Erdgas ohnehin signifikant verringert werden muss, um die Klimaziele nicht aus dem Blick zu verlieren. „
GV
„Wir reduzieren mit aller Konsequenz unsere Abhängigkeit von russischer Energie auf null – und zwar für immer.“ Die Erklärung von Außenministerin Annalena Baerbock bei einem Besuch der Ukraine am 10. Mai 2022 ist insbesondere für Erdgas relevant. Sie bedeutet zwar nicht automatisch, dass Deutschland – nachdem der Kraftakt einer Umstellung der Gasversorgung, nach aktuellem Stand bis Sommer 2024, gelungen ist – nie wieder Erdgas aus Russland importiert, jedoch dass eine parallele LNG-Infrastruktur errichtet und dauerhaft vorgehalten werden muss, um jederzeit die Versorgungssicherheit ohne Lieferungen aus Russland zu gewährleisten.
Doppelte Infrastruktur kostet viel Geld
Dass Deutschland über eine solche Infrastruktur nicht verfügt, hat einen einfachen Grund: Sie kostet viel Geld. Ein Teil der nun notwendigen Investitionen wird offensichtlich vom Staat getragen, den anderen Teil werden die Gaskunden künftig über den Gaspreis abstottern müssen. Zumindest die Gaskunden, die Erdgas gewollt oder gezwungenermaßen vorerst treu bleiben. Sie werden aufgrund der sich andeutenden Erosion des Gasabsatzes über die Netzentgelte auch einen steigenden Anteil für die bereits in der Vergangenheit getätigten und die kontinuierlich erforderlichen Investitionen sowie die laufenden Betriebskosten auf ihrer Gasrechnung wiederfinden.
Gehandeltes LNG ist zwar chemisch weitestgehend identisch mit dem bisher aus Russland gelieferten Erdgas, doch der ökologische Rucksack ist größer. Die verbrennungsbezogenen Emissionen sind identisch, die Treibhausgasemissionen in den Vorketten jedoch höher. Je nach Ursprung sind die Vorkettenemissionen im günstigsten Fall doppelt und bei ungünstigen Bedingungen etwa viermal so hoch.
LNG: Höhere Treibhausgasemissionen
Liegen die gesamten (globalen) Treibhausemissionen für leitungsgebundenes Erdgas in Deutschland heute bei etwa 228 g/kWh steigen sie für LNG auf mindestens 255 g/kWh (Katar) bis zu 304 g/kWh für LNG aus unkonventioneller Förderung in Australien. Die nationale Emissionsbilanz steigt durch die LNG-Substitution zwar nur unwesentlich, die internationale Verantwortung aber bleibt. Die spiegelt sich auch in den beispielsweise im Gebäudeenergiegesetz verwendeten Primärenergiefaktoren wieder, die für Erdgas mit einem steigenden LNG-Anteil eigentlich angehoben werden müssten.
Erdgasverbrauch muss ohnehin signifikant verringert werden
LNG aus der Förderung von Erdgas kann aber nur eine Notlösung sein, weil die Verwendung von Erdgas ohnehin signifikant verringert werden muss, um die Klimaziele nicht aus dem Blick zu verlieren. Allein der energetische Erdgasverbrauch stand im Jahr 2020 für 153 Mio. t an verbrennungsbezogenen CO2-Emissionen und zehrte damit gut 5 % von dem zum Einhalten des 1,5-Grad-Ziels mit 50%iger Wahrscheinlichkeit verfügbaren Treibhausgasbudgets von etwa 3000 Mio. t CO2-Äquivalent ab 2020.
Bei gleichbleibendem Verbrauch würde Erdgas bis 2030 über 50 % des verfügbaren Treibhausgasbudgets beanspruchen. Gas kann also nur eine Zukunft haben, wenn es schnell einen größeren Beitrag zur Senkung der Treibhausgasemissionen leistet. Bisher spricht die Gaswirtschaft hauptsächlich von Optionen und Potenzialen und richtet Forderungen an die Politik. Das ist ein wenig dünn und wird nicht ausreichen, das Geschäftsmodell Gas zukunftsfest zu machen.
Jochen Vorländer
Chefredakteur TGA Fachplaner
vorlaender@tga-fachplaner.de
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