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Energiewende

2023: Deutschlands CO2-Ausstoß sinkt auf Rekordtief, aber …

Treibhausgasemissionen nach Sektoren seit 1990.

Agora Energiewende / CC BY 4.0 Deed

Treibhausgasemissionen nach Sektoren seit 1990.

Im Jahr 2023 sind Treibhausgas­emissionen in Deutschland auf ein Rekordtief gefallen. Zugleich wurden Lücken in der Klimapolitik offengelegt. Im Gebäudebereich wurden die gesetzlich vorgegebenen Klimaziele erneut verfehlt.

Nach ersten Berechnungen sind Deutschlands Treibhausgasemissionen im Jahr 2023 auf 673 Mio. t CO2-Aquivalent (CO2e, das umfasst sämtliche Treibhausgasemissionen inklusive Methan und Lachgas) gesunken. Damit sind die Treibhausgas­emissionen um 46 % gegenüber dem Referenzjahr 1990 zurückgegangen – und fielen auf den niedrigsten Stand seit den 1950er-Jahren. Zugleich lag der CO2e-Ausstoß rund 49 Mio. t CO2e unter dem vom Bundes-Klimaschutzgesetz abgeleiteten Jahresziel von 722 Mio. t CO2e. Dies zeigen vorläufige Berechnungen, die Agora Energiewende in seiner Bilanz des Energiejahres 2023 vorgelegt hat.

Verantwortlich für den Rückgang von 73 Mio. t CO2e gegenüber 2022 waren im Wesentlichen zwei Entwicklungen:

Erstens sank die Kohleverstromung auf den tiefsten Stand seit den 1960er-Jahren, wodurch 44 Mio. t CO2e weniger als im Jahr 2022 emittiert wurden. Gründe hierfür waren ein deutlicher Rückgang der Stromnachfrage, vermehrte Stromimporte aus Nachbarländern – rund die Hälfte davon aus erneuerbaren Energien – sowie im gleichen Umfang gesunkene Stromexporte und eine leicht gestiegene Ökostromerzeugung.

Zweitens gingen die Emissionen aus der Industrie deutlich zurück. Ursächlich hierfür war insbesondere der krisen- und konjunkturbedingte Produktionsrückgang der energieintensiven Unternehmen. Während die gesamtwirtschaftliche Leistung nach vorläufigen Zahlen um 0,3 % schrumpfte, ging die energieintensive Produktion 2023 um 11 % zurück.

Nur 15 % des Rückgangs ist nachhaltig

Den Berechnungen von Agora Energiewende zufolge sind nur rund 15 % des CO2e-Rückgangs langfristige Einsparungen, die sich vor allem aus dem Zubau erneuerbarer Energien, Effizienzsteigerungen sowie dem Umstieg auf CO2e-ärmere oder klimafreundliche Brennstoffe beziehungsweise Alternativen ergeben.

Etwa die Hälfte der Emissionsminderungen geht der Analyse zufolge auf kurzfristige Effekte zurück, wie krisenbedingte Produktionsrückgänge und einen geringeren Stromverbrauch. Deshalb weist die Denkfabrik darauf hin, dass der Großteil der Emissionseinsparungen 2023 weder industrie- noch klimapolitisch nachhaltig ist – so könnten Emissionen konjunkturbedingt wieder steigen oder sich längerfristig Teile der Industrieproduktion ins Ausland verlagern.

Kaum Fortschritte bei Gebäuden und Verkehr

Der CO2e-Ausstoß von Gebäuden und Verkehr blieb 2023 nahezu unverändert – damit rissen die Sektoren ihre Klimaziele zum vierten beziehungsweise dritten Mal in Folge. Mit den ausbleibenden Emissionsminderungen in diesen beiden Bereichen verfehlt Deutschland voraussichtlich bereits 2024 seine europäisch vereinbarten Klimaziele aus der Effort Sharing Regulation.

Eine solche Zielverfehlung muss die Bundesregierung mit dem Zukauf von Emissionsrechten aus anderen EU-Mitgliedstaaten kompensieren – ansonsten drohen Strafzahlungen.

„Im Gebäudebereich greift ab diesem Jahr das Gebäudeenergiegesetz gepaart mit der attraktiven Förderung für klimafreundliche Heizungen. Diese Investitionen werden helfen, den CO2-Ausstoß zu senken. Und was den Verkehr anbetrifft, ist bekannt, dass wir ein Problem haben und hier mehr nötig ist.“
Bundwirtschaftsminister Robert Habeck zu der ersten Schätzung von Agora Energiewende zum CO2-Ausstoß Deutschlands im Jahr 2023

Urban Zintel

„Zwei Geschwindigkeiten beim Klimaschutz“

„2023 war das Jahr der zwei Geschwindigkeiten beim Klimaschutz in Deutschland: Die Energiewirtschaft verzeichnete mit dem historischen Hoch bei den erneuerbaren Energien einen klimapolitischen Erfolg, der uns näher zum 2030-Ziel bringt“, sagt Simon Müller, Direktor von Agora Energiewende Deutschland.

„In der Emissionsreduktion bei der Industrie sehen wir hingegen keine nachhaltige Entwicklung. Der krisenbedingte Produktionseinbruch schwächt den Industriestandort Deutschland. Wenn in der Folge Emissionen lediglich ins Ausland verlagert werden, ist auch für das Klima nichts gewonnen. Auch die Bereiche Gebäude und Verkehr hinken beim strukturellen Klimaschutz hinterher.“

Um die CO2-intensive Stromerzeugung dauerhaft im Strommix zu ersetzen, müsse die positive Dynamik beim Erneuerbaren-Zubau im Jahr 2024 weiter verstärkt werden. Die Industrie brauche adäquate Rahmenbedingungen, um in Deutschland investieren zu können – etwa in die klimaneutrale Stahlherstellung und den Umstieg von Gas auf Strom für Prozesswärme. Im Bereich Gebäude gelte es 2024, die Umsetzung der beschlossenen Maßnahmen konsequent voranzutreiben. Und im Verkehr brauche es grundsätzlich die politischen Weichenstellungen für den Durchbruch klimafreundlicher Mobilität.

Kohle im Sinkflug, Verbraucherpreise erholen sich

Die Emissionen aus der Stromerzeugung sanken 2023 um 46 Mio. t CO2e auf 177 Mio. t CO2e – und haben sich damit im Vergleich zu 1990 mehr als halbiert. Der Emissionsrückgang von 21 % gegenüber 2022 ist überwiegend auf den starken Rückgang der Kohleverstromung zurückzuführen: Die geringere Stromproduktion aus Braunkohle vermied 29 Mio. t CO2e, bei der Steinkohleverstromung waren es 15 Mio. t CO2e. Für diese Entwicklung nennt der Agora-Energiewende-Bericht drei Gründe:

Erstens den außergewöhnlichen Rückgang beim Stromverbrauch von 3,9 % gegenüber 2022 in Folge der fossilen Energiekrise. Zweitens führte die europaweit starke erneuerbare Stromerzeugung dazu, dass Deutschland mehr Strom importierte, statt diesen in heimischen Kohlekraftwerken zu produzieren. Über das Jahr hinweg verkaufte „Deutschland“ rund 58 TWh des heimisch erzeugten Stroms ins Ausland und importierte 69 TWh. 49 % der Stromimporte stammten dabei aus erneuerbaren Energien – vor allem Wasser- und Windkraft – und 24 % aus Kernkraft. Drittens verzeichneten Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien ein Plus von 5 %.

Die Gesamtemissionen der Energiewirtschaft, die neben dem Stromsektor auch Raffinerien und Fernwärme erfasst, betrugen 210 Mio. t CO2e und lagen damit 46 Mio. t CO2e beziehungsweise 18 % unter dem Vorjahresniveau.

Insgesamt entspannte sich der Energiemarkt 2023 und sowohl die Strom- als auch die Erdgaspreise fielen im Vergleich zum Vorjahr. Besonders Neukunden konnten von Preissenkungen profitieren. Bestandskundenpreise blieben weiterhin hoch, da Stromanbieter die sinkenden Börsenstrompreise in der Regel verzögert weitergeben. Auch die Erdgaspreise gingen 2023 zurück, lagen aber weiterhin über dem Vorkrisenniveau.

Müller: „Der Strompreis ist durch Abgaben und Umlagen stärker belastet als die Preise für fossile Energieträger wie Öl und Gas. Das bremst den Umstieg von Haushalten auf klimafreundliche Technologien wie Elektroautos oder Wärmepumpen. Eine Reform des Abgaben- und Umlagesystems ist notwendig, um das Ungleichgewicht aufzuheben. Die Änderungen sollten es ermöglichen, dass in Zeiten hoher Wind- und Solarstromerzeugung niedrige Strompreise auch die Verbraucherinnen und Verbraucher erreichen.“

Siehe auch: Wärmepumpen und E-Autos können die Stromkosten senken

EE-Anteil erstmals über 50 %

Zu den sinkenden Strompreisen trugen auch die Rekordwerte beim Solarzubau bei – 14,4 GW Photovoltaikleistung wurde im Jahr 2023 neu installiert. Das waren 6,2 GW mehr als zu Spitzenzeiten im Jahr 2012. Obwohl es 2023 weniger Sonnenstunden gab, produzierten Solaranlagen mit 61 TWh rund 1 TWh mehr Strom als im Vorjahr. Der Photovoltaikzubau lag damit deutlich oberhalb des Zielpfads für 2030.

Auch die Windenergieerzeugung verzeichnete ein Rekordjahr. Gründe waren günstige Wetterbedingungen und ein leichter Zubau von Windkraftanlagen. Wind blieb mit 138 TWh die größte Stromquelle und produzierte mehr Strom als die Summe der deutschen Kohlekraftwerke (132 TWh). Allerdings fiel der Ausbau der Windkraft an Land mit 2,9 GW deutlich zu gering aus. Um die gesetzlichen Ausbauziele 2030 zu erreichen, muss ab 2024 der jährliche Zubau auf durchschnittlich 7,7 GW. Genehmigungen nahmen dagegen zu: Mit 7,7 GW stieg die Leistung der genehmigten Windprojekte um 74 % gegenüber 2022. Insgesamt erreichten erneuerbare Energien 2023 erstmals einen Anteil von über 50 % am gesamten Bruttostromverbrauch.

Siehe auch: 2023: Erneuerbare Energien decken 57 % des Stromverbrauchs

Industrie zwischen Krise und Aufbruch

Auch der Industriesektor verzeichnete 2023 deutliche Emissionsrückgänge: Agora Energiewende hat auf Basis von vorläufigen Energieverbrauchs- und Produktionsdaten eine Minderung in Höhe von 20 Mio. t CO2e beziehungsweise 12 % gegenüber 2022 berechnet. Mit Gesamtemissionen von 144 Mio. t CO2e übererfüllte der Bereich das Jahresziel von 173 Mio. t CO2e deutlich. Damit sind die Industrieemissionen auf den niedrigsten Stand seit ihrer Erfassung 1990 gesunken.

„Die Folgen der fossilen Energiekrise und der Konjunktureintrübung zeigten sich im CO2e-Ausstoß der energieintensiven Industrie besonders deutlich“, sagt Müller. Ein wichtiger Faktor für den Produktionseinbruch waren die anhaltenden Preissteigerungen im europäischen Gasmarkt aufgrund der Umstellung von günstigem Pipelinegas auf mehr LNG-Importe.

„Um im Standortwettbewerb auf dem Weg zur Klimaneutralität erfolgreich bestehen zu können, brauchen Unternehmen in Deutschland dringend Finanzierungs- und Planungssicherheit für den Umstieg von fossilen Energien auf strombasierte Prozesse“, mahnt Müller. Ziel sei es, wichtige Wertschöpfungsketten vor Ort zu sichern und gleichzeitig langfristige Emissionsminderungen der Industrie zu erzielen. Dafür sei auch das Erreichen der Ausbauziele bei den erneuerbaren Energien essenziell.

Positiv bewertet Müller, dass Deutschland und die EU 2023 wichtige industriepolitische Weichen gestellt haben, wie die Stärkung des europäischen Emissionshandels, die Einigung auf CO2-Ausgleichszahlungen für Rohstoffimporte in die EU oder Klimaschutzverträge für die Finanzierung der Industrietransformation zur Klimaneutralität.

Gebäudesektor fällt weiter zurück

Im Verkehrs- und Gebäudebereich stagnierten die CO2e-Emissionen auch im Jahr 2023. Die Sektoren bleiben damit weiterhin deutlich hinter ihren Klimazielen zurück. Statt der gesetzlich vorgeschriebenen Maximalmenge von 101 Mio. t CO2e verursachten Gebäude 109 Mio. t CO2e. Damit verfehlte der Gebäudesektor zum vierten Mal in Folge das Jahresziel. Die Minderung gegenüber 1990 beträgt 48 %.

Im Vergleich zum Vorjahr sanken 2023 die Treibhausgasemissionen im Gebäudesektor um 3 Mio. t CO2e. Dies war im Wesentlichen darauf zurückzuführen, dass Haushalte mit Gas-Heizungen besonders im 1. Quartal 2023 weiterhin Energie gespart haben und der Heizbedarf aufgrund milder Temperaturen niedriger ausfiel. Insgesamt verbrauchten Haushalte im Vergleich zum Energiekrisenjahr 2022 im Jahr 2023 etwa 4 % weniger Erdgas. Im 4. Quartal 2023 zeichnete sich jedoch ein leichter Anstieg beim Heizverbrauch der Haushalte ab.

„Nach der politischen Weichenstellung mit dem geänderten Gebäudeenergiegesetz und dem Gesetz für die kommunale Wärmeplanung kommt es jetzt auf eine konsequente Umsetzung an. Nur so können im Gebäudesektor die Emissionen endlich wirksam gesenkt werden“, sagt Simon Müller. Gleichzeitig werde Heizen mit fossilen Energieträgern perspektivisch immer teurer, spätestens mit dem Start des europäischen Emissionshandels für Gebäude und Verkehr 2027. „Die Bundesregierung muss auch mit der neuen Haushaltslage ihre Wärmepolitik umfassend flankieren, damit sich alle Einkommensgruppen klimafreundliches Heizen leisten können.“

Der Gebäudesektor verfehlte 2023 das Treibhausgasemissionsziel voraussichtlich um 8 Mio. t CO2e.

Agora Energiewende / CC BY 4.0 Deed

Der Gebäudesektor verfehlte 2023 das Treibhausgasemissionsziel voraussichtlich um 8 Mio. t CO2e.

Kaum Fortschritt im Verkehrssektor

Zum dritten Mal in Folge verfehlte der Verkehrssektor das im Bundes-Klimaschutzgesetz festgelegte Sektorziel. Um gerade einmal 2 % sanken die Emissionen gegenüber 2022. 145 Mio. t CO2e stieß der Verkehr in Deutschland laut den Berechnungen von Agroa Energiewende aus, was gegenüber 1990 einer Minderung von lediglich 11 % entspricht. Damit überschritten die Verkehrsemissionen die gesetzliche Höchstmenge von 133 Mio. t CO2e um 12 Mio. t CO2e.

Das Ziel von 15 Mio. Elektroautos bis 2030 bleibt in weiter Ferne: Der Anteil von Elektoautos bei den Neuzulassungen lag 2023 wie im Vorjahr unverändert bei knapp 20 %. Um den Verkehr in Deutschland auf Klimaschutzkurs zu bringen, braucht es der Agora-Energiewende-Studie zufolge ein schlüssiges Gesamtkonzept. Dazu gehöre es, die Steuern, Abgaben und Subventionen rund um den Pkw anzupassen, den Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs abzusichern sowie den Kommunen durch ein modernes Straßenverkehrsrecht die Verkehrswende vor Ort zu erleichtern.

Landwirtschaft unter dem Zielpfad

Die Emissionen aus der Landwirtschaft lagen im Jahr 2023 bei rund 61 Mio. t CO2e und unterschritten damit das Klimaziel für den Bereich von 67 Mio. t CO2e. Ein wesentlicher Grund für diese Zielunterschreitung ist die veränderte Berechnungsmethode der Emissionen von Lachgas. Diese führt in der Statistik zu geringeren Treibhausgasemissionen, was sich bisher jedoch nicht in einer Anpassung des Sektorziels widerspiegelt. Die im Vergleich zum Jahr 2022 um etwa 1 Mio. t CO2e verminderten Treibhausgasemissionen ergeben sich vor allem aus dem Rückgang der Schweine- und Rinderbestände sowie einer verringerten Stickstoffdüngung.

Finanzierung der Klimaziele braucht solides Fundament

Trotz der Minderungen gegenüber 2022 klafft zum Erreichen der Klimaziele 2030 weiterhin eine deutliche Lücke. Um diese zu schließen, ist die Einführung zusätzlicher Klimaschutzmaßnahmen im Jahr 2024 aus Sicht von Agora Energiewende zentral. Dazu kommet, dass nach dem Karlsruher Haushaltsurteil die Finanzierung für Klimaschutzmaßnahmen schwieriger geworden ist.

Müller: „Deutschland braucht eine Investitionsoffensive zum Erreichen der Klimaziele.“ Notwendig seien staatliche Mittel etwa für klimaneutrale Heizungen und die Transformation der Industrie. Auch im Bereich der Strom-, Wärme- und Wasserstoffnetze stehen erhebliche Investitionen an. „Die Bundesregierung steht 2024 vor der Aufgabe, die erforderlichen Investitionen für die Klimaneutralität endlich zuverlässig abzusichern. Ein kluger Instrumentenmix kann sicherstellen, dass wir mehr Klimaschutz für jeden Euro aus der Staatskasse erreichen.“

Die Studie Die Energiewende in Deutschland: Stand der Dinge 2023 fasst die wesentlichen Entwicklungen zur Energiewende und Klimazielen des Jahres 2023 zusammen und steht als PDF-Download zur Verfügung. ■
Quelle: Agora Energiewende / jv

Der Artikel gehört zur TGA+E-Themenseite TGA-Marktdaten

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