Die im Rahmen eines Gemeinschaftsprojekts von Avacon und des DVGW initiierte Beimischung von Wasserstoff in ein existierendes Gasverteilnetz im Jerichower Land in Sachsen-Anhalt ist erfolgreich abgeschlossen worden. Über einen Zeitraum von zwei Heizperioden wurden dem Erdgas stufenweise bis zu 20 Vol.-% Wasserstoff zugefügt. An den etwa 350 angeschlossenen Haushaltsgeräten wurde die Geräteeinstellung nicht verändert.
„Wir können mit Stolz sagen, dass wir das Projekt sehr erfolgreich abgeschlossen haben“, sagte Frank Schwermer, Geschäftsführer der Avacon Netz GmbH. „Mit unserem Gemeinschaftsprojekt haben wir den Nachweis erbracht, dass ohne Veränderungen an den Kundengeräten 20 % Wasserstoff in bestehende Gasnetze eingespeist werden können.“
Für den DVGW-Vorstandsvorsitzenden Prof. Dr. Gerald Linke markiert das Ergebnis sogar „einen Meilenstein in Richtung einer zügigen, technisch sicheren Wasserstoff-Transformation“. Das Projekt habe bewiesen, dass „der raschen Aufnahme erheblicher Wasserstoffmengen über die bestehende Gasinfrastruktur ebenso wie dem Betrieb von angeschlossenen Geräten Tür und Tor offenstehen“. Die Einspeisung von Wasserstoff ließe sich somit „im großen Maßstab skalieren, und Geräte im Bestand können en bloc auf Wasserstoff umgestellt werden“.
Wasserstoff, der gar nicht zur Verfügung steht
Dass in den nächsten Jahren für die Verwendung in Haushalten voraussichtlich kein Wasserstoff zur Verfügung steht, thematisiert der DVGW-Vorstandsvorsitzende hingegen in einer Pressemitteilung zum Projektabschluss nicht. Auch nicht, worum es künftig zunächst gehen dürfte: Die Entkopplung von tatsächlicher Nutzung und Nutzungspflicht.
So könnte künftig in Netzgebieten mit günstigen Voraussetzungen eine Beimischung von Wasserstoff stattfinden, ohne dass die Anschlussnehmer vor Ort hierfür einen höheren Preis für den teuren Wasserstoff zahlen müssen. Den zahlen dann im Rahmen eines Massebilanzsystems Gaskunden, die beispielsweise aufgrund des EE-Hochlaufs (§ 71 Abs. 9 GEG 2024) verpflichtet sind, einen ab 2029 steigenden Anteil grüner Gase (bilanziell) zu nutzen.
Nutzen des Projekts
Das Projekt hat allerdings grundlegende physikalische Erkenntnisse zur Ähnlichkeit von Erdgas und Wasserstoff erbracht. Sie sollen nun in das DVGW-Regelwerk einfließen und die Rechtssicherheit für Netzbetreiber erhöhen.
Eine Regelwerksanpassung betrifft die Gasqualität, eine weitere den Prüfumfang: Bei entsprechender sicherheitstechnischer Begleitung durch den DVGW kann auf die Prüfung aller einzelner Gasgeräte bei einer Wasserstoffeinspeisung verzichtet werden. Zukünftig sind stichprobenhafte Prüfungen von Gasgeräten ausreichend, deren Art und Umfang der DVGW spezifizieren wird.
Linke: „Wir schätzen sehr, dass uns das Gemeinschaftsprojekt den Weg für derart praxisnahe Regelwerksanpassungen ebnet. Dies ermöglicht uns eine schrittweise Erhöhung des Wasserstoffanteils, ohne auf den gewohnt hohen Sicherheitsstandard zu verzichten.“ Der DVGW plant, Angaben zur Wasserstoffverträglichkeit von allen namhaften Geräteherstellern abzufragen und in einer Revision der DVGW-Anpassungsdatenbank im Laufe des Jahres 2024 zu implementieren.
Zum Projekt
Für das Projekt wurde ein Netzabschnitt im Gasverteilnetz von Avacon im Jerichower Land in Sachsen-Anhalt ausgewählt. Dieser eignete sich vor allem deshalb, weil die dort verbaute Netzinfrastruktur repräsentativ für das gesamte Avacon-Gasverteilnetz ist und die Ergebnisse somit übertragbar sind. Bei dem Netzabschnitt handelt es sich um ein Mitteldruck-Verteilnetz aus den 1990er-Jahren mit rund 35 km Leitungslänge, von dem etwa 350 Netzkunden mit Erdgas versorgt werden.
Mit der entsprechenden Menge an Gasgeräten, die vor allem zur Wärmeversorgung dienen, deckt das ausgewählte Netzgebiet eine breite Gerätetechnik ab: Im Projektgebiet waren 352 Geräte von 30 Herstellern, teils über 30 Jahre alt, verbaut. Lediglich fünf Geräte wurden vor dem Start der Beimischung auf Wunsch der Hersteller getauscht. Bei der Laboruntersuchung der ausgebauten Geräte wurden jedoch keine sicherheitsrelevanten Mängel festgestellt, sodass auch diese im Netz hätten verbleiben können.
Zwischen allen Beimischphasen erfolgten Stichproben, die laut DVGW durchweg positiv waren. Zudem wiesen alle Geräte während der Beimischphasen weniger Kohlenstoffdioxid(CO2)-Emissionen und auch geringere Kohlenstoffmonoxid(CO)- und Stickstoffoxid(NOx)-Emissionen auf. Allerdings werden bei einem Gasgemisch von 20 Vol.-% Wasserstoff lediglich 7 % weniger CO2-Emissionen im Vergleich zu Methan ausgestoßen, siehe Info-Kasten. In Kombination der Erneuerung einer Gas-Heizung ist durch das Upgrade auf Brennwerttechnik laut DVGW eine Minderung von etwa 17 % möglich (Anm. d. Red.: mit üblichen Standardwerten und einer Qualitätssicherung bei der Neuanlage sind es nur bis zu 14 %). Berücksichtigt man beide Faktoren, kann der verbrennungsbezogene CO2-Ausstoß um rund 23 % gesenkt werden. Im Rahmen des GEG 2024 sind jedoch andere Anforderungen zu beachten und es gilt grundsätzlich eine Beratungspflicht beim Einbau einer Brennstoff-Heizung.
Schwermer: „Besonders stolz macht uns die Tatsache, dass alle betroffenen Haushalte im Untersuchungsgebiet am Projekt teilgenommen haben und wir bei einer abschließenden Kundenumfrage sehr gute Umfrageergebnisse erhielten.“ So befürworten nach Abschluss des Projektes mehr als 90 % der Teilnehmer den Einsatz von Wasserstoff im Gasnetz oder haben ihre Vorbehalte abgebaut. Neben der gleichförmigen Beimischung wurde auch die volatile Einspeisung, um die Effekte schwankender Wasserstoff-Konzentrationen zu untersuchen, erfolgreich getestet. ■
Quelle: DVGW, Avacon / jv
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Exkurs
20, 23, 30 % – das klingt nach einer großen Wirkung. Vielleicht haben die Projektpartner auch deshalb in ihrer offiziellen Mitteilung nicht angegeben, dass es sich um Volumen-Prozente handelt. Denn die energetische und damit die klimarelevante Substitution ist erheblich kleiner als es die Zahlen suggerieren: Aufgrund der sehr unterschiedlichen Eigenschaften von Wasserstoff und dem Erdgas dominierenden Methan ist für Bilanzen bzw. verbrennungsbezogene CO2-Emissionen eine Angabe unumgänglich, ob die Beimischung volumetrisch oder energetisch ist.
Wie groß die Unterschiede sind, verdeutlich nachstehend zwei Beispiele. Ausgangswerte sind der Brennwert (Hs,n) von Methan (CH4) mit 11,06 kWh/m3 und von Wasserstoff (H2) mit 3,54 kWh/m3. Zudem wird angenommen, dass sich beide Gase wie ein ideales Gas verhalten.
Volumetrische Betrachtung für 10 %
● Bei einem Wasserstoffgehalt von 10-Vol.-% sinkt der Brennwert um 6,8 % des CH4/H2-Gemischs auf 10,31 kWh/m3. Um die gleiche Energiemenge zu liefern, muss das eingesetzte Gasvolumen dadurch um 7,3 % steigen.
● Bei einem Wasserstoffgehalt von 10 Vol.-% stammen energetisch 3,43 % aus dem beigemischten Wasserstoff.
● Die verbrennungsbezogenen CO2-Emissionen sinken bei einem Wasserstoffgehalt von 10-Vol.-% zu Methan um 10 % bezogen auf einen Kubikmeter des Gasgemischs. Bezogen auf 1 kWh (HS,n) sinken sie nur um 3,43 %.
Energetische Betrachtung für 10 %
● Um 10 % des Brennwerts von Methan energetisch zu ersetzen, muss der Wasserstoffanteil eines CH4/H2-Gemischs 25,8 Vol.-% betragen.
● Das für die gleiche Energiemenge benötigte Gasvolumen steigt um 21,2 %. Der Brennwert sinkt auf 9,122 kWh/m3.
● Die verbrennungsbezogenen CO2-Emissionen sinken bei einem energetischen Ersatz durch Wasserstoff um 10 % bezogen auf 1 kWh (HS,n) und bezogen auf einen Kubikmeter des Gasgemischs um 25,8 %.
Betrachtung für 20 % volumetrisch und energetisch
● Für einen Wasserstoffgehalt von 20 Vol.-% ergeben sich eine energetische Ersatzquote und eine CO2-Minderung von jeweils 7,41 %.
● Um 20 % der sonst über Methan bereitgestellten Energiemenge durch Wasserstoff zu ersetzen (was auch eine Verringerung der verbrennungsbezogen CO2-Emissionen um 20 % bedeuten würde), wäre ein Wasserstoffgehalt in dem Brenngas von 43,9 % erforderlich.
Zur Einordnung: Der Gebäudesektor hat im Bundes-Klimaschutzgesetz einen Pfad für die Verminderung der jährlichen Emissionsmengen der im Jahr 2021 bei 4,2 % gegenüber dem Vorjahr liegt und bis 2030 auf 6,9 % gegenüber dem Vorjahr ansteigt. Eine Beimischung von 10 Vol.-% CO2-neutral hergestelltem Wasserstoff würde also noch nicht einmal dem Minderungssoll im ersten Jahr entsprechen. Auch 20 Vol.-% würden kaum zwei Jahre „abdecken“. Bei den absehbar geringen Beimisch- oder Substitutionsquoten muss also die Hauptlast über andere Maßnahmen realisiert werden.