Das Potenzial ist enorm: Deutschland kann seinen gesamten Wärmebedarf für Temperaturen bis 200 °C über oberflächennahe und tiefe Geothermie, See- und Flusswasser sowie Abwärme decken. Der Schlüssel sind Großwärmepumpen, um die Potenziale in der Breite nutzbar zu machen.
Der Artikel kompakt zusammengefasst
■ Wärmeanwendungen bis 200 °C verantworten in Deutschland bisher über drei Viertel des deutschen Erdgasverbrauchs und über ein Viertel der Treibhausgasemissionen, weil fossile Energien die Wärmeversorgung in industriellen Prozessen, Gebäuden und Wärmenetzen dominieren.
■ Die gesamte Wärmenachfrage bis 200 °C lässt sich technisch vollständig durch Wärmepumpen decken. Großwärmepumpen können hierbei erhebliche Potenziale in Geothermie, Gewässern und Abwärme heben.
■ Großwärmepumpen sind eine bewährte Technologie, die in Deutschland über ein erhebliches Marktpotenzial verfügt. Jedoch war 2023 insgesamt erst ein Bruchteil der Leistung installiert, der bis 2045 jährlich zur Dekarbonisierung der Fernwärme zugebaut werden muss.
■ Ein schneller Hochlauf von Großwärmepumpen erfordert übergeordnet ist ein klares Zielbild sowie transformationskonforme Energiepreise und Netzentgelte.
Wärmenetze können eine flexible und kosteneffiziente klimaneutrale Lösung für die Wärmeversorgung von Kommunen oder Stadtquartieren sein: So steht es in der Erklärung der Bundesministerien für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) und für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (BMWSB) anlässlich des (1.) Fernwärmegipfels im Juni 2023.
Die Realität sieht anders aus: Hausherren und Industrieunternehmen decken ihren Wärmebedarf zu rund 80 % durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe und auch der Wärmebedarf sinkt nur sehr langsam. Mit dezentralen Wärmepumpen wurde bereits in vielen Bereichen mit der Dekarbonisierung der kleinteiligen Wärmebereitstellung begonnen.
„Die Großwärmepumpe ist der schlafende Riese bei nachhaltiger Wärmetechnik“
Bei Wärmenetzen können Großwärmepumpen auch komplexere oder schwerer zugängliche Wärmequellen erschließen. Und das in großem Umfang und auch mit hohen Temperaturen, wie sie teilweise für Industrieprozesse benötigt werden. Das zeigt die im Juni 2023 veröffentlichte Studie „Rollout von Großwärmepumpen in Deutschland: Strategien für den Markthochlauf in Wärmenetzen und Industrie“ der Fraunhofer-Einrichtung für Energieinfrastrukturen und Geothermie (Fraunhofer IEG) im Auftrag von Agora Energiewende. Sie analysiert umfassend den aktuellen Marktstatus und Entwicklungspotenziale von Großwärmepumpen mit besonderem Fokus auf den Hochlauf von Wärmenetzen.
„Unter den nachhaltigen Wärmetechnologien ist die Großwärmepumpe sicherlich der schlafende Riese“, unterstreicht Fabian Ahrendts vom Fraunhofer IEG und Erstautor der Studie. „Mit dem nächsten Entwicklungsschub erreicht die Technologie Temperaturen bis 200 °C und damit die Arbeitstemperatur nicht nur der bestehenden Fernwärmenetze, sondern auch vieler Verarbeitungs- und Trocknungsprozesse in den Branchen Papier, Nahrungsmittel, Chemie und Lacke.“
Für die Studie hat das Fraunhofer IEG viele Hersteller befragt und konnte Entwicklungspotenziale (beispielsweise erreichbare Temperaturen, Wirkungsgrade und Flexibilität) sowie Fragen zum Aufbau weiterer Produktionskapazitäten klären. Zudem erbrachte die Recherche einen groben Marktüberblick: Anfang 2023 waren in Deutschland mindestens 30 Wärmepumpenanlagen mit jeweils einer thermischen Leistung über 500 kW in Betrieb, die zusammen eine Gesamtleistung von ca. 60 MW aufweisen. Überdies waren mindestens 30 weitere Großwärmepumpenprojekte mit einer Gesamtleistung von rund 600 MW bereits im Bau oder in der Planung.
Theoretisches Angebot übersteigt den praktischen Bedarf deutlich
Die wichtigste Erkenntnis der Studie ist: Das verfügbare Angebot von Umwelt- und Abwärme in Deutschland, das über Wärmepumpen bereitgestellt werden kann, übersteigt bei weitem den Wärmebedarf für Gebäude und industrielle Prozesswärme bis 200 °C. In Summe beläuft sich die potenzielle Wärmemenge, die Wärmepumpen auch ohne Nutzung von Umgebungsluft zur Verfügung stellen können, auf rund 1500 TWh/a.
Wärmepotenziale bieten die oberflächennahe und die tiefe Geothermie, See- und Flusswasser, industrielle Abwärme, Abwasser, Kohlengruben sowie Rechenzentren. Demgegenüber steht ein jährlicher Wärmebedarf für Temperaturen bis 200 °C von insgesamt etwas über 1000 TWh/a. Mit Großwärmepumpen werden diese Wärmequellen großflächig für die Fernwärmeversorgung und in der Industrie nutzbar.
Bis 2045 können Großwärmepumpen über 70 % der Fernwärme in Deutschland bereitstellen und dort Erdgas weitestgehend ersetzen – wie aus den Langfristszenarien im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums hervorgeht. Dafür braucht es einen durchschnittlichen Zubau von 4 GW/a neuer Großwärmepumpenleistung bis 2045. Das entspricht grob einem Zubau von jährlich 330 000 dezentralen Heizungs-Wärmepumpen bei jeweils 12 kW Heizleistung.
Für einen schnellen Hochlauf von Großwärmepumpen nennt die Studie drei Voraussetzungen: Einen klaren Ausbaupfad basierend auf einer verbindlichen kommunalen Wärmeplanung, den Abbau von Preisnachteilen gegenüber fossilen Energieträgern sowie eine strategische Ausweitung des Wärmepumpenangebots etwa durch die Standardisierung von Produktionsprozessen.
Deutschland hängt noch hinterher
In den skandinavischen Ländern sind Großwärmepumpen längst auf dem Vormarsch und versorgen Wohngebiete großflächig mit Wärme. In Deutschland sind Großwärmepumpen für diese Anwendung noch ein Nischenprodukt. Neben den beiden Vorreitern – Norwegen hat einen Anteil an Großwärmepumpen an der Fernwärmeversorgung von rund 13 % und Schweden von über 8 % – liegen auch Finnland, Dänemark und Frankreich über dem europäischen Durchschnitt von 1,2 %.
Soll ab 2045 in Deutschland mehr als ein Viertel der Wohnungen mit grüner Fernwärme beheizt werden können, setzt das voraus, dass in den Kommunen die Wärmewende vorausschauend geplant und der regulatorische Rahmen für leitungsgebundene Wärme ein attraktives und günstiges Angebot für die Kunden sicherstellt.
Dass es bisher kaum Großwärmepumpenprojekte für Fernwärme gibt, hat einen einfachen Grund: Bisher waren Großwärmepumpen für Fernwärmebetreiber im Vergleich zu fossilen Lösungen nicht attraktiv. Aktuell bestehen bei der Förderung noch Nachteile von strombetriebenen Großwärmepumpen gegenüber fossil befeuerten KWK-Anlagen. Laut der Fraunhofer IEG lässt sich die Schieflage mit einer Reform des Kraft-Wärme-Kopplungs-Gesetzes und einer Aufstockung des Förderprogramms für Wärmenetze beheben und so die Wärmewende beschleunigen.
Ein klares Zielbild ist erforderlich
Entscheidend für die Umstellung sei ein klares Zielbild, damit Kunden und Hersteller Planungssicherheit bekommen. Mit einer gesicherten Nachfrage könne sich das Angebot von Großwärmepumpen weiterentwickeln: Weg von Einzelanfertigungen, hin zu einer industriellen Standardproduktion. Das sei auch zentral für die Wettbewerbsfähigkeit der Branche: Mit einem klug abgestimmten Instrumentenmix könne sich Deutschland als führender Produzent von Großwärmepumpen aufstellen und die europäischen Herstellerkapazitäten für klimafreundliche Technologien stärken.
Fachberichte mit ähnlichen Themen bündelt das TGA+E-Dossier Wärmepumpe
Literatur
[1] Rollout von Großwärmepumpen in Deutschland: Strategien für den Markthochlauf in Wärmenetzen und Industrie. Berlin / Cottbus: Agora Energiewende, Fraunhofer IEG, 2023: Download auf agora-energiewende.de