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Energieträger

REPowerEU: Erdgas aus Russland wird aussortiert

Die EU-Kommission will schnell die Abhängigkeit von Erdgaslieferungen aus Russland reduzieren. Neben neuen Lieferquellen soll auch der Verbrauch reduziert werden.

Ingo Bartussek – stock.adobe.com

Die EU-Kommission will schnell die Abhängigkeit von Erdgaslieferungen aus Russland reduzieren. Neben neuen Lieferquellen soll auch der Verbrauch reduziert werden.

Angesichts des russischen Angriffs auf die Ukraine hat die EU-Kommission am 8. März 2022 unter dem Titel „REPowerEU“ Vorschläge dazu vorgelegt, wie Europa deutlich vor 2030 von fossilen Brennstoffen aus Russland, zunächst von Erdgas, unabhängig werden soll. Auch Heizungs-Wärmepumpen und Heizkörper-Thermostate sollen dabei eine Rolle spielen.

Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen: „Wir müssen unabhängig von Öl, Kohle und Erdgas aus Russland werden. Wir dürfen uns einfach nicht auf einen Lieferanten verlassen, der uns schlichtweg bedroht. Es gilt jetzt zu handeln, damit wir die Auswirkungen der steigenden Energiepreise abfedern, unsere Gasversorgung für den nächsten Winter diversifizieren und den Übergang zu sauberer Energie beschleunigen können.“

Europa ist zwar schon seit mehreren Monaten mit einem Anstieg der Energiepreise konfrontiert, das Problem wird nun aber zusätzlich durch die unsichere Versorgung verschärft. Die Vorschläge umfassen deshalb auch Reaktionen auf die steigenden Energiepreise in Europa und Maßnahmen, um die Gasvorräte für den nächsten Winter aufzustocken. Ziel ist es, die Nachfrage der EU nach russischem Gas bereits vor Ende des Jahres 2022 um zwei Drittel zu verringern.

Durch die vorgelegten Vorschläge unter dem Titel „REPowerEU“ sollen die Gasversorgung diversifiziert und die Einführung von Gas aus erneuerbaren Quellen für Heizung und Stromerzeugung beschleunigt werden. Das dürfte bedeuten, dass die Gaspreise über einen längeren Zeitraum hoch bleiben oder sogar ohne ein Embargo oder einen Lieferstopp noch steigen werden, da dadurch zumindest für einen gewissen Zeitraum dem Markt bisher verfügbare Erdgasmengen entzogen werden. Zwar werden die hohen Preise auch die bedarfsgetriebene Nachfrage dämpfen, gleichzeitig soll aber auch Erdgas möglichst schnell in großem Umfang in vorhandenen Speichern eingelagert werden.

„Im Eiltempo auf erneuerbare Energien umstellen“

Von der Leyen: „Je früher wir auf erneuerbare Energien und Wasserstoff in Verbindung mit einer höheren Energieeffizienz umsteigen, desto schneller werden wir wirklich unabhängig und erhalten die Kontrolle über unser Energiesystem. Ich werde die Ideen der Kommission im Laufe dieser Woche  in Versailles mit den europäischen Staats- und Regierungschefs erörtern und dann mit meinem Team auf eine rasche Umsetzung hinarbeiten.“

Frans Timmermans, Exekutivpräsident für den europäischen Green Deal: „Wir müssen jetzt unsere Schwachstellen beseitigen und bei unseren energiepolitischen Entscheidungen rasch mehr Unabhängigkeit gewinnen. Wir müssen im Eiltempo auf erneuerbare Energien umstellen. Energie aus erneuerbaren Quellen ist billig, sauber und potenziell unerschöpflich. Sie schafft Arbeitsplätze bei uns, anstatt die fossile Brennstoffindustrie anderswo zu finanzieren. Putins Krieg in der Ukraine zeigt, dass wir unsere Energiewende dringend beschleunigen müssen.“

Die für Energie zuständige Kommissarin Kadri Simson: „Für die verbleibenden Wochen dieses Winters verfügt Europa über ausreichend Gas, aber wir müssen unsere Vorräte unbedingt für nächstes Jahr auffüllen. Die Kommission wird deshalb vorschlagen, dass die Gasspeicher in der EU bis zum 1. Oktober zu mindestens 90 % gefüllt sein müssen. Wir haben auch Vorschläge zu Preisregulierungen, staatlichen Beihilfen und steuerlichen Maßnahmen vorgelegt, um die europäischen Haushalte und Unternehmen vor den Auswirkungen der außergewöhnlich hohen Preise zu schützen.“

Zufallsgewinne könn(t)en abgeschöpft werden

Die Energiepreis-Toolbox der EU-Kommission vom Oktober 2021 hat den Mitgliedstaaten bereits Möglichkeiten gegeben, die Auswirkungen hoher Preise auf schutzbedürftige Verbraucher abzufedern; sie bildet weiterhin einen wichtigen Rahmen für nationale Maßnahmen. Nun hat die EU-Kommission den Mitgliedstaaten zusätzliche Leitlinien präsentiert, durch die Preisregulierungen in Ausnahmefällen möglich sind. Zudem wird darin dargelegt, wie die Mitgliedstaaten Einnahmen aus den hohen Gewinnen des Energiesektors und aus dem Emissionshandel an die Verbraucher umverteilen können.

Mit Erdgas beheizte Haushalte können durch angepasstes Heizverhalten einen relevanten Beitrag leisten, um die Abhängigkeit von Erdgas-Importen aus Russland zu reduzieren.

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Mit Erdgas beheizte Haushalte können durch angepasstes Heizverhalten einen relevanten Beitrag leisten, um die Abhängigkeit von Erdgas-Importen aus Russland zu reduzieren.

Der Spiegel berichtet am 08. März 2022 bereits, dass Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck Firmen für „Kriegsgewinne“ zur Kasse bitten will. Allerdings handele es sich um einen Markteingriff, der so in Deutschland noch nicht durchgespielt worden sei. Habeck verweist auf Gewinne, die Firmen machten, indem sie zuvor sehr günstig eingekaufte Energie jetzt zu exorbitanten und nur durch den Krieg getriebenen Preisen verkauften.

Die EU-Vorschriften über staatliche Beihilfen bieten den Mitgliedstaaten ebenfalls Möglichkeiten, von hohen Energiepreisen betroffene Unternehmen kurzfristig zu unterstützen und ihnen zu helfen, ihre Anfälligkeit gegenüber Schwankungen der Energiepreise mittel- bis langfristig zu verringern.

Im Anschluss an eine Konsultation über zielgerichtete Änderungen der Leitlinien für staatliche Beihilfen im Zusammenhang mit dem Emissionshandelssystem wird die Kommission mit den Mitgliedstaaten auch über die Notwendigkeit und den Umfang eines neuen vorübergehenden Beihilferahmens zur Bewältigung der Krise beraten. Durch diesen Rahmen sollen Unternehmen, insbesondere solchen, die mit hohen Energiekosten zu kämpfen haben, Hilfen gewährt werden.

Mindestfüllstand für Gasspeicher soll vorgegeben werden

Bis April will die Kommission einen Gesetzgebungsvorschlag vorlegen, nach dem die unterirdischen Gasspeicher in der gesamten EU bis zum 1. Oktober eines Jahres zu mindestens 90 % ihres Fassungsvermögens gefüllt sein müssen.

Der Vorschlag würde die Überwachung und Durchsetzung der Füllstände nach sich ziehen und die Möglichkeit von Solidaritätsvereinbarungen zwischen Mitgliedstaaten vorsehen. Die Kommission setzt ihre Untersuchung des Gasmarktes fort, da die Befürchtung besteht, dass einige Akteure, insbesondere Gazprom, die Wettbewerbsbedingungen verfälschen.

Durchschlagen auf die Strompreise soll begrenzt werden

Um der Explosion der Energiepreise entgegenzuwirken, will die EU-Kommission alle möglichen Optionen für Notfallmaßnahmen prüfen, mit denen sich das Durchschlagen der Gaspreise auf die Strompreise begrenzen lässt, etwa befristete Preisobergrenzen.

Die EU-Kommission will auch Optionen zur Optimierung der Gestaltung des Strommarkts bewerten und dabei den Abschlussbericht der Agentur der EU für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden (ACER) und andere Beiträge zu Vor- und Nachteilen alternativer Preisbildungsmechanismen berücksichtigen, damit Strom erschwinglich bleibt, ohne die Versorgung und weitere Investitionen in den grünen Wandel zu beeinträchtigen.

REPowerEU: Abhängigkeit von russischem Gas beenden

Die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen aus Russland könne deutlich vor 2030 schrittweise beendet werden. Hierfür schlägt die Kommission vor, ihren RePowerEU-Plan zur Erhöhung der Widerstandsfähigkeit des EU-weiten Energiesystems zu entwickeln. Der Plan beruht auf zwei Säulen:

Europa will künftig mehr LNG importieren. Die Erhöhung der Einfuhrkapazität ist allerdings technisch begrenzt und kann nur mittelfristig ausgeweitet werden.

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Europa will künftig mehr LNG importieren. Die Erhöhung der Einfuhrkapazität ist allerdings technisch begrenzt und kann nur mittelfristig ausgeweitet werden.

Diversifizierung der Gasversorgung durch höhere Einfuhren von Erdgas von nichtrussischen Lieferanten in flüssiger Form (LNG) oder über Pipelines und die Steigerung der Produktion und der Einfuhren von Biomethan und Wasserstoff aus erneuerbaren Quellen sowie schnellere Verringerung der Nutzung fossiler Brennstoffe in Wohn- und Geschäftsgebäuden, in der Industrie und im Energiesystem durch eine Steigerung der Energieeffizienz, den Ausbau der erneuerbaren Energien und der Elektrifizierung sowie die Beseitigung von Infrastrukturengpässen.

Eine vollständige Umsetzung der Vorschläge der Kommission im Rahmen des Pakets Fit for 55 würde der Verbrauch an fossilem Erdgas bis 2030 bereits um 30 % oder 100 Mrd. m3 reduziert. Mit den Maßnahmen im REPowerEU-Plan könnten schrittweise mindestens 155 Mrd. m3 fossiles Erdgas eingespart werden; dies entspricht der Menge, die 2021 aus Russland eingeführt wurde.

Nahezu zwei Drittel dieser Verringerung könnten binnen eines Jahres erreicht werden, womit die übermäßige Abhängigkeit der EU von einem einzelnen Lieferanten beendet wäre. Man darf gespannt sein, wie Russland bzw. der russische Präsident Wladimir Putin auf die Umsetzung des REPowerEU-Plans reagiert. Das Dilemma beider Seiten: Eine Realisierung der Ziele bis Ende 2022 wird mit jedem Tag realistischer, an dem Russland weiterhin Gas nach Europa liefert, mit dem die Speicherstände geschont oder sogar erhöht werden können.

„Übergang zu sauberer Energie drastisch beschleunigen“

Für die EU-Kommission ist jedoch jetzt klar: „Die neuen geopolitischen Gegebenheiten und die Lage auf dem Energiemarkt zwingen uns, den Übergang zu sauberer Energie drastisch zu beschleunigen und Europa unabhängiger von unzuverlässigen Energielieferanten und schwankungsanfälligen fossilen Brennstoffen zu machen.

Nach der Invasion in die Ukraine sprechen mehr starke und klare Argumente denn je für eine schnelle, saubere Energiewende. Die EU importiert 90 % ihres Gasverbrauchs. Etwa 45 % dieser Einfuhren stammen aus Russland, wobei der Anteil je nach Mitgliedstaat variiert. Auf Russland entfallen zudem 25 % aller Öl- und 45 % aller Kohleeinfuhren.“

Maßnahmen des REPowerEU-Plans im Gebäudesektor

Der noch abzustimmende REPowerEU-Plan sieht im Kapitel „2.2. Schnellere Verringerung unserer Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen“ den schnelleren Ausbau von Solarenergie, Windkraft und Wärmepumpen vor:

Durch die Beschleunigung der Einführung von Photovoltaik-Dachanlagen mit einer Erzeugung von 15 TWh Solarstrom in diesem Jahr könnte die EU 2,5 Mrd. m3 Erdgas einsparen. Die EU-Kommission will dazu im Juni eine Mitteilung zur Solarenergie vorlegen, die dazu beitragen soll, das Potenzial der Solarenergie als wichtige erneuerbare Energiequelle in der EU zu erschließen. Sie soll in einer europäische Solardach-Initiative münden und sicherstellen soll, dass die Öffentlichkeit in vollem Umfang von den Vorteilen der Solarenergie auf Dächern profitieren kann.

Mit dem Entwurf für das EEG 2023 gibt es in Deutschland bereits ähnliche Pläne, die aus Sicht der Solarwirtschaft jedoch noch keinen Solarturbo zünden können.

Heizen mit fossilen Energieträgern ist derzeit deutlich teurer als in den letzten Jahren. Die aktuell hohen Beschaffungskosten bei Erdgas werden erst zeitverzögert bei den Endkunden angekommen.

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Heizen mit fossilen Energieträgern ist derzeit deutlich teurer als in den letzten Jahren. Die aktuell hohen Beschaffungskosten bei Erdgas werden erst zeitverzögert bei den Endkunden angekommen.

Zudem sieht der Plan vor, den bereits im Fit for 55 vorgesehenen Wärmepumpen-Rollout (30 Mio. neu installierte Wärmepumpen im Jahr 2030) vorzuziehen und damit in den nächsten fünf Jahren die Installation von 10 Mio. Heizungs-Wärmepumpen zu erreichen. 10 Mio. Heizungs-Wärmepumpen entsprechen nach Berechnungen der EU-Kommission einer Verringerung des Erdgasbedarfs von 12 Mrd. m3/a. Für 2022 sieht der Plan einen Beitrag von 1,5 Mrd. m3 weniger Erdgas vor. Die beschleunigte Markteinführung von Wärmepumpen erfordere eine rasche Ausweitung der gesamten Lieferkette und soll von Maßnahmen zur Förderung der Gebäudesanierung begleitet werden.

Der REPowerEU-Plan enthält eine Auflistung zur Reduktion der Erdgas-Importe aus Russland bis Ende 2022 um 101,5 Mrd. m3. Davon sind 14 Mrd. m3 EU-weiten Energieeinsparungen zugeordnet. Als Beispiel wird das Absenken der Einstellung von Heizungsthermostaten in Gebäuden um 1 °C genannt, was mit einer Einsparung von 10 Mrd. m3 Erdgas beziffert wird. Wie das Einsparpotenzial gehoben werden soll, führt der REPowerEU-Vorschlag nicht aus. Es kann aber angenommen werden, dass ein größerer Teil von diesem Potenzial durch die Verbraucher selbst gehoben wird, sobald sie sich über die aktuellen Kosten einer warmen Wohnung bewusst geworden sind.

 
Heizölkunden, die derzeit ihre Tanks auf- oder nachfüllen, dürften bereits reagieren. Das auf Tankmesstechnik spezialisierte Unternehmen Tecson veröffentlicht seit vielen Jahren tagesaktuell Heizölpreise. Mit dem Hinweis, dass aktuell sehr große Preisunterschiede existieren, wird für den 9. März 2022 als Durchschnittspreis für den Bezug von 3000 l Heizöl schwefelarm inklusive 19 % MwSt. ein Preis von 1,992 Euro/ angegeben.
 

Und die Einsparungen durch die Verbraucher sind mangels vieler Optionen für den Plan relevant: In dem Vorschlag der EU-Kommission heißt es, dass die EU kurzfristig 50 Mrd. m3/a mehr LNG importieren kann, beispielsweise aus Katar, den USA, Ägypten und Westafrika. Die Diversifizierung der Pipeline-Lieferquellen, genannt werden Aserbaidschan, Algerien und Norwegen, kann mit 10 Mrd. m3/a „nur“ so viel an russischem Erdgas ersetzten, wie die Absenkung der Einstellung von Heizungsthermostaten in Gebäuden beitragen würde. ■

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