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Energiewende

Gasnetze: Geordnete Stilllegung schützt Kunden und Betreiber

Eine sinkende Zahl der Gasanschlüsse und eine deutlich sinkende Gasmenge erfordern Anpassungen bei den Gasverteilnetzen.

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Eine sinkende Zahl der Gasanschlüsse und eine deutlich sinkende Gasmenge erfordern Anpassungen bei den Gasverteilnetzen.

Der Umstieg auf klimaneutrale Energien macht einen Großteil des Gasverteilnetzes überflüssig. Eine Neugestaltung des Ordnungsrahmens, der aktuell auf eine dauerhafte Nutzung der Erdgasinfrastruktur zielt, kann Investitionsfallen für die Netzbetreiber und massive Kostensteigerungen für Gaskunden verhindern.

Für die Verteilung von Gas sind in Deutschland gut 700 Verteilnetzbetreiber zuständig. Etwa die Hälfte der Gasnetze hat eine Länge unter 250 km, insgesamt sind es aber rund 511 000 km Leitungslänge. Das sind rund 6 m Leitungslänge pro Bundesbürger, auch wenn nur ein Teil Gaskunde ist bzw. in ein einem Haushalt lebt, der einen zurzeit genutzten Gasanschluss hat.

Das am 18. April 2023 veröffentlichte Studie von Agora Energiewende zeigt nun, dass mit dem Ziel Klimaneutralität 2045 für über 90 % der bestehenden Gasverteilnetze absehbar keine Verwendung mehr gibt. Ohne eine geordnete Stilllegung beziehungsweise eine bedarfsorientierte Umrüstung der Netze auf Wasserstoff drohen bis 2044 gestrandete Vermögenswerte von bis zu 10 Mrd. Euro und eine Vervielfachung der Netzentgelte für Gaskunden. Agora Energiewende schlussfolgert daraus, dass zum Vermeiden Um dies zu vermeiden, werde eine rasche Ausrichtung der Regelungen für die Planung und Finanzierung der Gasverteilnetze auf die Klimaziele benötigt.

Abschied vom Erdgas stellt neue Anforderungen

Simon Müller, Direktor Deutschland von Agora Energiewende: „Der Aufbau einer Infrastruktur für die klimaneutrale Wärmeversorgung erfordert ein schnelles Umdenken. Der Abschied vom Erdgas und der Umstieg auf grüne Fernwärme und Wärmepumpen stellen neue Anforderungen an das Energienetz“, sagt. „Die geordnete und rechtzeitige Stilllegung der Gasverteilnetze ist eine zentrale Aufgabe in der Wärmewende. Dadurch können die Ausstiegskosten gesenkt und Planungssicherheit geschaffen werden, was Netzbetreibern und Netzkunden gleichermaßen zugutekommt.“

Hohe Netzentgelte und Stranded Assets vermeiden

Denn die Kosten für den Betrieb, die Wartung und den Ausbau der Infrastruktur werden über die Netzentgelte auf die Gaskunden umgelegt. Mit fortschreitender Umstellung auf eine klimafreundliche Wärmeversorgung sinkt die Zahl der Gasanschlüsse absehbar, was für die verbleibenden Erdgaskunden zu steigenden Netzentgelten führt.

Überflüssige Investitionen und fortlaufende Betriebskosten aufgrund eines aufgeschobenen Ausstiegs verstärken diesen Kostenanstieg. Die Berechnungen der Agora-Energiewende-Studie, die das Beratungsunternehmen BET für den Thinktank durchgeführt hat, zeigen, dass bei derzeitiger Planung und Regelung die Netzentgelte bis 2044 um das Neun- bis Sechzehnfache steigen. Je älter das Netz ist, desto höhere Kostensteigerungen drohen, wenn Neuinvestitionen auf einen dauerhaften Erhalt ausgerichtet sind.

Gleichzeitig ist die Abschreibungsdauer der bestehenden Netze an die Nutzungszeit gebunden, die mit dem Ziel der Klimaneutralität 2045 begrenzt ist. Ohne eine vorausschauende Netzplanung und schnellere Abschreibungen ergäben sich laut Agora Energiewende ab 2045 gestrandete Vermögenswerte von bis zu 10 Mrd. Euro, auf denen die Netzbetreiber sitzen bleiben würden.

Agora Energiewende schlägt deshalb eine Neuausrichtung des Ordnungsrahmens für Gasverteilnetze vor, die auf drei Säulen basiert: Auf einer effizienten Infrastrukturplanung, einem tragfähigen Rahmen für Verteilnetzbetreiber sowie der sozialen Absicherung von Netzkunden.

„Im Schnitt gehen die großen Energiesystemstudien davon aus, dass 2045 der Wasserstoffbedarf weniger als 30 % des aktuellen Erdgasbedarfs betragen wird und vor allem in Kraftwerken und Industrieanlagen anfällt.“ Simon Müller

Agora Energiewende

Eine effiziente Planung, die eine rechtzeitige und koordinierte Stilllegung von Netzabschnitten beinhaltet, kann die jährlichen Netzkosten und damit den Anstieg der Netzentgelte halbieren. Dies zeigen die für die Studie durchgeführten Hochrechnungen auf Basis von repräsentativen Beispielnetzen. Denn zum einen entfallen durch eine Umstellung auf klimafreundliche Wärme zusehends Betriebskosten für das Erdgasnetz. Und zum anderen kommen weniger Refinanzierungskosten auf.

Übergreifende Planung verhindert Investitionsfallen

Eine effiziente Infrastrukturplanung stellt laut dem Agora-Energiewende-Vorschlag sicher, dass die Planungen für Wärme-, Strom- und Gas- beziehungsweise Wasserstoffnetze zusammengedacht werden und auch die Verfügbarkeit von erneuerbarem Wasserstoff berücksichtigen.

Müller: „Alle großen Energiesystemstudien zeigen, dass nur ein Bruchteil des heutigen Erdgasbedarfs durch erneuerbaren Wasserstoff ersetzt werden wird. Im Schnitt gehen die Studien davon aus, dass 2045 der Wasserstoffbedarf weniger als 30 % des aktuellen Erdgasbedarfs betragen wird und vor allem in Kraftwerken und Industrieanlagen anfällt.“

„Das hat direkte Auswirkung auf den Umfang der benötigten Infrastruktur. Eine kluger Ordnungsrahmen ist deshalb an den Klimazielen ausgerichtet, verhindert kostspielige Fehlinvestitionen und ermöglicht frühzeitige Stilllegungen von Erdgasnetzen.“ Dazu gehöre auch, die bedarfsorientierte Umrüstung von Teilen des Netzes auf Wasserstoff zu erleichtern.

Ein tragfähiger Rahmen für Netzbetreiber

Der Gesamtwert des Erdgasnetzes liegt heute bei maximal 60 Mrd. Euro, was etwa 20 % des geschätzten Neuwerts entspricht. „Der Großteil der Netz-Investitionen ist trotz der langen Abschreibungsdauer von rund 45 Jahren bereits refinanziert, sodass der Restwert im Verhältnis zum Neuwert überschaubar ist“, sagt Müller. Allerdings wurde 2021 noch die Rekordsumme von 1,1 Mrd. Euro für den Bau von neuen Erdgasnetzen ausgegeben.

Eine verbindliche Planung könnte solche Fehlentwicklungen aufhalten und aufzeigen, welche Infrastrukturinvestitionen tatsächlich notwendig sind. Um wirtschaftliche Nachteile auszugleichen, schlägt Agora Energiewende vor, den Betreibern die vollständige Abschreibung der Netzinvestitionen bis 2045 zu ermöglichen und Stilllegungen von künftig nicht mehr benötigten Netzteilen anzureizen. Auch sollten kostenintensive Verpflichtungen zum Netzrückbau anhand klarer Kriterien auf ein Minimum begrenzt werden und stattdessen einfache Stilllegungen der Netze zur Regel werden.

Im Gegenzug sollten die aus der Stilllegung resultierenden Kosteneinsparungen der Netzbetreiber schneller an die Kunden weitergegeben werden. Zudem sollte eine Verpflichtung bestehen, den Netzbetrieb so lange wie nötig aufrechtzuerhalten – was die aktuelle Vergaberegelung für Konzessionen nicht sicherstelle.

Netzkosten steigen trotzdem

Bei einem geordneten Ausstieg aus den Erdgasverteilnetzen lassen sich die Netzkosten 2040 – durch sinkende Wartungs- und Betriebskosten – gegenüber einem unveränderten Ordnungsrahmen halbieren. Dennoch steigen die Netzentgelte für die verbleibenden Kunden aufgrund der sinkenden Zahl an Gasanschlüssen.

Müller: „Im derzeitigen Ordnungsrahmen würde im Extremfall der letzte Kunde, der noch ans Netz angeschlossen ist, die gesamten Netzkosten tragen. Unser Vorschlag sieht deshalb eine soziale Absicherung vor. In Ergänzung zu einem effizienten Ordnungsrahmen, kann ein staatliches Zuschusssystem den übermäßigen Anstieg der Netzentgelte gezielt abfedern. Grundsätzlich sollte sichergestellt werden, dass der Umstieg auf zukunftsfeste Wärmelösungen bezahlbar und zugleich zügig umsetzbar ist.“

Die Studie Ein neuer Ordnungsrahmen für Erdgasverteilnetze hat Agora Energiewende in Zusammenarbeit mit dem Beratungsunternehmen BET und der Rechtsanwaltskanzlei Rosin Büdenbender erstellt. Die 113-seitige Publikation beschreibt die Problemfelder des aktuellen Ordnungsrahmens für Erdgasverteilnetze und enthält einen dreisäuligen Vorschlag, wie eine kosteneffiziente Ausrichtung auf die Klimaziele gelingen kann. ■
Quelle: Agora Energiewende / jv

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