Elektroautos, Wärmepumpen und Heimspeicher machen das Stromsystem künftig deutlich flexibler. Neue Tarifmodelle können es Haushalten ermöglichen, diese „Kleinflexibilitäten“ netzdienlich bereitzustellen. Das spart dann Kosten bei der Erzeugung und senkt so die Strompreise für alle.
Der Artikel kompakt zusammengefasst
■ 100 TWh der Stromnachfrage im Jahr 2035 können durch Elektroautos, Wärmepumpen und Heimspeicher flexibilisiert werden und dadurch im Stromsystem 4,8 Mrd. Euro/a einsparen.
■ Die Aktivierung haushaltsnaher Flexibilitäten erfordert dynamische Stromtarife, was gleichzeitig den Ausbaubedarf der Stromnetze verringert. Eine zügige Einführung dynamischer Stromtarife bedingt eine Digitalisierung der Verteilnetze.
■ Durch eine automatisierte Anpassung ihres Verbrauchs können Haushalte bereits heute ihre eigenen Stromkosten beeinflussen. Haushalte mit dynamischen Tarifen sparen perspektivisch 600 Euro/a und tragen gleichzeitig zum Gelingen der Energiewende bei.
Die Haushalte in Deutschland können im Jahr 2035 über ihre Elektrofahrzeuge, Wärmepumpen und Heimspeicher rund 100 TWh Strom zeitlich flexibel nutzen, das zeigt eine Studie von Agora Energiewende. Diese flexible Last entspricht mehr als 10 % des dann erwarteten Stromverbrauchs in allen Verbrauchssektoren. Aktuell (Quelle: BDEW, Jahr 2022) liegt der nationale Nettostromverbrauch bei rund 470 TWh/a und der Nettostromverbrauch der Haushalte bei 131 TWh/a. Im Verkehrssektor wurden im Jahr 2022 rund 15 TWh als Fahrstrom genutzt.
Einsparpotenzial von 4,8 Mrd. Euro im Jahr 2035
Allein die Elektroautos können der Studie zufolge im Jahr 2035 mehr als 60 TWh verschiebbare Last beziehungsweise Rückeinspeisung ins Netz bereitstellen. Dabei geht die Agora-Energiewende-Studie davon aus, dass nur / bereits etwa die Hälfte der Haushalte die Flexibilität ihrer Elektroautos, Wärmepumpen und Heimspeicher auch nutzt, wenn entsprechende Preisanreize vorhanden sind.
Wird dieses Potenzial ausgeschöpft, können 2035 rund 4,8 Mrd. Euro an Brennstoff- und Investitionskosten eingespart werden, die sonst für Wasserstoffkraftwerke und Großbatterien benötigt würden. Diese Einsparungen sorgen wiederum für sinkende Stromkosten für alle Verbraucher.
Um das große Potenzial der Lastverschiebung in Haushalten zu heben, braucht es neue Tarifmodelle, die etwa das Laden von Elektroautos sowohl am Stromangebot als auch der Netzauslastung ausrichten. Ohne solche differenzierten Preissignale könnte die wachsende Zahl der stromintensiven Technologien in den Haushalten zu höheren Belastungsspitzen im Netz führen.
Dynamische Stromtarife
„Viele Verbraucher wollen sich am Gelingen der Energiewende beteiligen. Eine Modernisierung der Stromtarife schafft hierfür neue Möglichkeiten“, sagt Simon Müller, Direktor von Agora Energiewende Deutschland. „Neue Tarifmodelle sollten Haushalten ermöglichen, auf das fluktuierende Angebot von erneuerbarem Strom zu reagieren. Gleichzeitig gilt es, den in einem klimaneutralen Stromsystem erforderlichen Netzausbau möglichst gering zu halten.“
Siehe auch: Stromampel-App zeigt, wie grün der Strommix ist
Agora Energiewende schlägt deshalb ein Tarifmodell vor, das beide Ziele verbindet: Auf der einen Seite sollen dynamische Strompreise dafür sorgen, dass die günstigeren Flexibilitätsoptionen von Haushalten durch E-Autos, Wärmepumpen und Heimspeicher zuerst zum Einsatz kommen, bevor wesentlich kostspieligere Wasserstoffkraftwerke anlaufen. Auf diese Weise treten weniger Stunden mit sehr hohen Börsenstrompreisen auf und die durchschnittlichen Stromkosten für alle Verbraucher sinken.
Auf der anderen Seite beugen dynamische Netzentgelte, die die aktuelle Netzauslastung abbilden, lokalen Überlastungen im Stromnetz vor. Bei zunehmender Auslastung steigen die Netzentgelte und verhindern so, dass zu viele Verbraucher gleichzeitig ihren Strombezug erhöhen. Die Modellierung, die die Forschungsstelle für Energiewirtschaft im Auftrag von Agora Energiewende durchgeführt hat, zeigt, dass dadurch weniger Lastspitzen und in der Folge weniger Kosten für den Netzausbau anfallen.
Müller: „In anderen europäischen Ländern sind zeitvariable Netzentgelte längst Realität. Die Bundesnetzagentur und Verteilnetzbetreiber sollten hieran anknüpfen und dynamische Netzentgelte in Deutschland ermöglichen. Das ist ein wichtiger Beitrag zur kostengünstigen Integration erneuerbaren Energien.“
Siehe auch: Regeln zum Dimmen neu angeschlossener Wärmepumpen
Haushalt mit Wärmepumpe könnte rund 600 Euro/a sparen
Die Studie zeigt, dass dynamische Stromtarife durch ein kosteneffizienteres Stromsystem Ersparnisse für alle Verbraucher mit sich bringen: Ein Vier-Personen-Haushalt mit Wärmepumpe kann perspektivisch rund 600 Euro im Jahr sparen. Denn flexible Stromkunden können ihren Verbrauch – in der Regel automatisiert – besser an Zeiten mit niedrigen Preisen ausrichten.
Auch alle anderen Stromkunden zahlen weniger und sparen durchschnittlich 1 Ct/kWh, was bei einem Vier-Personen-Haushalt inklusive Mehrwertsteuer rund 42 Euro/a Ersparnis bedeutet. Zusätzlich profitieren alle von niedrigeren Netzausbaukosten und besser ausgelasteten Netzen.
Die Studie Haushaltsnahe Flexibilitäten nutzen – Wie Elektrofahrzeuge, Wärmepumpen und Co. die Stromkosten für alle senken können stellt vier Tarifmodelle mit unterschiedlichen Flexibilitätsanreizen nebeneinander und betrachtet deren Auswirkungen auf die Flexibilitätsbereitstellung von Haushalten, die Belastung des Stromverteilnetzes, die Netzausbaukosten sowie die möglichen Einsparungen in den Gesamtkosten der Stromerzeugung. ■
Quelle: Agora Energiewende / jv
Fachberichte mit ähnlichen Themen bündelt das TGA+E-Dossier Elektrifizierung
Im Kontext:
Information zur GEG-Beratungspflicht bei Brennstoff-Heizungen
EUPD Research: Absatz von Wärmepumpen steigt stetig
2023 lieferten Erneuerbare erstmals über die Hälfte des Stroms
LichtBlick integriert Vaillant-Wärmepumpen in den Energiemarkt
Strommarktdesign: Preissicherheit und Flexibilität kombiniert