„Ist Wasserstoff zur Beheizung von Gebäuden eine sinnvolle Option? Eine Studie für den Nationalen Wasserstoffrat soll dies klären. Der Zwischenbericht weist zunächst Wärmepumpen eine tragende Rolle bis 2030 zu.“
GV
Am 30. Juni 2022, einen Tag nach dem das BMWK und das BMWSB die Branche auf 500 000 Wärmepumpen pro Jahr ab 2024 eingeschworen haben, hat der Nationale Wasserstoffrat (NWR) einen ersten Zwischenbericht mit Ableitungen aus dem im Oktober 2021 beauftragtem Projekt „Bottom-up-Studie zu Pfadoptionen einer effizienten und sozialverträglichen Dekarbonisierung des Wärmesektors“ veröffentlicht. Die Fraunhofer-Institute ISE und IEE stellen darin klar: „Ein schneller Zubau von Wärmepumpen in Neubauvorhaben und Bestandsgebäuden zur Versorgung von Wärmenachfragen ist für die Einhaltung der Klimaziele bis 2030 elementar.“ Der Aspekt Sozialverträglichkeit ist damit zwar nicht beantwortet, wird aber aufgrund anderer Handlungsoptionen gegebenenfalls indirekt gelöst werden müssen.
Eigentlich könnte man das Kapitel Wasserstoff-Heizungen damit beenden. Auch wenn die Politik noch nicht den Mut gefunden hat, der Gesellschaft die Wahrheit zu verkünden: Die bisher auf 2045 datierten Klimaziele müssen bereits viel früher erreicht werden, etwa 2030…2035. Grüner oder zumindest (weitgehend) klimaneutraler Wasserstoff wird bis dahin nicht in Mengen verfügbar sein, die eine Verbrennung zur Erzeugung von Niedertemperaturwärme rechtfertigen; auch die Verfügbarkeit anderer grüner Gase zur Erzeugung von Raumwärme ist bis dahin nicht realistisch.
Grüne Gase: Kaum kalkulierbares Kostenrisiko
Zudem könnte es bald für grüne Gase eine Fußangel geben, die das Interesse der Wohnungswirtschaft an Wasserstoff- und Grüngas-Heizungen beendet. Das BMWK/BMWSB-Konzept zur Umsetzung der 65-Prozent-EE-Vorgabe (siehe: 65 % Erneuerbare für jede neue Heizung) sieht für die Erfüllungsoption „Einbau einer Gas-Heizung unter Nutzung von grünen Gasen“ vor, dass Vermieter die Kosten übernehmen müssen, die über den Grundversorgungstarif für Gas hinausgehen. Vermieter würden sich also geringe Investitionskosten durch ein kaum kalkulierbares Kostenrisiko erkaufen. Dass die Energieversorger diese Risiken absichern, ist eher unwahrscheinlich.
Die ISE/IEE-Studie soll im Herbst 2022 vorliegen und dann für den NWR eine „Grundlage für Empfehlungen im Sinne einer Roadmap mit Optionen für einen dekarbonisierten Wärmemarkt 2045“ sein. Herauskommen dürfte: Es gibt Gasverteilnetze, in denen Industrie- und Gewerbebetriebe ab 2030ff mit Wasserstoff versorgt werden müssen und dass diese Gasverteilnetze aus Kostengründen dafür insgesamt auf Wasserstoff umgestellt werden müssen. Mindestens hier stellt sich dann die Frage, wie die Wärmeversorgung der (dann noch) angeschlossenen Wohngebäude erfolgen soll.
Der richte Blickwinkel, nur viel zu spät
„Dann noch“, weil der der Austausch von 4 bis 5 Mio. heute mit fossilen Energieträgern betriebenen Wärmeerzeugern bis 2030 gegen Wärmepumpen auch erhebliche Lücken in die Gasverteilnetze reißt. Und 2030 kann man den Wärmepumpen-Rollout auf einem Niveau von etwa 750 000 Wärmepumpen-Installationen pro Jahr nicht einfach abschalten.
Letztendlich deuten die ersten Ableitungen darauf hin, dass die Bottom-Up-Studie zwar wichtige Erkenntnisse liefern wird, diese aber den Markt zum Umsetzen der jeweils bestmöglichen Option(en) zu spät erreichen. Aufgrund der aktuellen Situation ist vielmehr davon auszugehen, dass vermehrt Gaskunden Entscheidungen treffen, mit denen in einer zunehmenden Zahl von Gasverteilnetzen eine Versorgung von Wohngebäuden mit Wasserstoff nach 2030 wirtschaftlich nicht mehr darstellbar ist.
Jochen Vorländer
Chefredakteur TGA Fachplaner
vorlaender@tga-fachplaner.de
Alle TGAkommentare finden Sie im TGAdossier TGA-Leitartikel
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