Damit der Gebäudesektor bis 2045 klimaneutral wird, braucht es viel Geld vom Staat, klares Ordnungsrecht, höhere CO2-Preise und soziale Ausgleichsmaßnahmen. Agora Energiewende und die Stiftung Klimaneutralität schlagen deshalb ein umfassendes Maßnahmenpaket vor, mit dem die soziale Wärmewende gelingen kann.
Die neuen Klimaziele der Bundesregierung verlangen im Gebäudebereich deutlich mehr Tempo als bisher: 5,5 Mio. t CO2 muss die Bundesrepublik durchschnittlich jedes Jahr laut der Novelle des Bundes-Klimaschutzgesetzes in diesem Bereich einsparen. Damit der Treibhausgasausstoß von Gebäuden in Deutschland bis 2045 auf null sinkt, muss dieser bereits bis 2030 nahezu halbiert werden.
Um den hierfür nötigen Umbau zu einem klimaneutralen Heiz- und Wärmesystem sozialverträglich sicherzustellen, schlagen Agora Energiewende und die Stiftung Klimaneutralität ein Sofortprogramm vor, mit dem die Sanierungsgeschwindigkeit erhöht, der Markthochlauf von Wärmepumpen beschleunigt, grüne Fern- und Nahwärmenetze ambitioniert ausgebaut werden und gleichzeitig für einen sozialen Ausgleich der Kosten gesorgt wird.
Auch die Bundesregierung verhandelt aktuell ein „Klimaschutz Sofortprogramm 2022“.
„Die Regierung muss sich ehrlich machen“
„2020 hat der Gebäudesektor als einziger Bereich sein Klimaziel verfehlt und auch für 2021 ist eine Verfehlung wahrscheinlich. Wir brauchen deswegen gleich zu Beginn der neuen Legislaturperiode eine klare Strategie für Klimaneutralität im Gebäudesektor, die einen Interessensausgleich zwischen den Akteuren organisiert und wirksame Maßnahmen für eine CO2-freie Wärme enthält“, sagt Dr. Patrick Graichen, Direktor von Agora Energiewende.
Rainer Baake, Direktor der Stiftung Klimaneutralität, bekräftigt: „Die Sanierungswelle lostreten, Wärmepumpen in die Ein- und Mehrfamilienhäuser und in den Ballungsgebieten die grüne Nah- und Fernwärme ausbauen – das sind die Grundpfeiler der Klimapolitik für den Gebäudesektor.“ Die Regierung müsse sowohl die Standards für energetische Sanierungen als auch die Förderprogramme im Gebäudebereich konsequent auf das Klimaneutralitätsziel 2045 ausrichten.
Enddatum 2024 für neue Öl- und Gas-Heizungen in kleinen Gebäuden
„Klimaneutralität bedeutet das absehbare Ende von fossilen Heizanlagen. Da muss sich die Regierung ehrlich machen und das Enddatum 2024 für neue Öl-Heizungen und auch Gas-Heizungen in Ein- und Zweifamilienhäusern gesetzlich verankern“, sagt Baake.
Schrittweiser Ausstieg aus Öl- und Gas-Heizungen
Dem Vorschlag beider Klimaorganisationen zufolge soll die Zahl der Öl-Heizungen und Gas-Heizungen schrittweise verringert werden; ab sofort soll es keine Förderung mehr für mit fossilen Brennstoffen betriebene Heizungen geben, ab spätestens 2024 sollen diese nicht mehr in Neubauten eingebaut werden. Das Einbauverbot soll ab dann auch für Ein- und Zweifamilienhäuser im Bestand gelten. Zugleich soll das Fördervolumen für energetische Gebäudesanierungen auf 12 Mrd. Euro jährlich verfünffacht werden.
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Außerdem sollen Mieter möglichst schon ab 2023 vollständig vom CO2-Preis entlastet werden. Graichen: „Sowohl klimapolitisch als auch sozialpolitisch gilt: CO2-Preis rauf, Strompreis runter – und die höheren CO2-Kosten nicht den Mieterinnen und Mietern anlasten, sondern als Anreiz bei den Vermietenden belassen. Denn die haben es in der Hand, in eine neue, CO2-arme Heizung oder eine gute Dämmung zu investieren.“
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Beide Organisationen fordern zudem die Einführung einer verbindlichen, strategischen Wärmeplanung für Kommunen. Damit kann vor Ort gesteuert werden, wo der Einsatz von Wärmepumpen sinnvoll ist oder ob ein Haus an die Fernwärme- beziehungsweise Nahwärmeinfrastruktur angeschlossen werden sollte.
Der Weg zum klimaneutralen Heiz- und Wärmesystem
Ein ausgewogener Instrumentenmix ist den beiden Organisationen zufolge der Schlüssel für den sozialverträglichen Umbau hin zu einem klimaneutralen Heiz- und Wärmesystem:
1. Die Sanierungsrate erhöhen
Agora Energiewende und die Stiftung Klimaneutralität setzen in ihren Vorschlägen auf klare Klimaschutz-Anreize für Hauseigentümer durch Förderprogramme nach dem „Fordern und Fördern“-Prinzip. So sollen in Zukunft sowohl höhere Gebäudeenergiestandards gelten („Fordern“) als auch die Einhaltung dieser Verpflichtung vom Staat großzügig und konsequent unterstützt werden („Fördern“). Mit einer Fördersumme von rund 12. Mrd. Euro/a soll die energetische Sanierungsrate von bislang unter 1 %/a auf 1,6 %/a angehoben werden.
2. Wärmepumpen wettbewerbsfähig machen
Ein starker CO2-Preis ist ebenfalls wichtiger Bestandteil des vorgeschlagenen Instrumentenmix. Dieser soll bis 2025 auf mindestens 80 Euro/t steigen. Baake: „Aktuell sind allein die Steuern, Abgaben und Umlagen auf jede kWh Strom knapp vier Mal so hoch wie der Preis für Erdgas. Da ist der Wettbewerbsnachteil der elektrischen Wärmepumpe offensichtlich.“
Neben einer Neuordnung von Abgaben und Umlagen auf den Strompreis, fordern die Organisationen mit den Einnahmen aus der CO2-Bepreisung die EEG-Umlage auf null abzusenken. Baake: „So erreichen wir zwei Dinge auf einmal: Erstens wird Strom billiger und entlastet die Haushalte sozial gerecht von steigenden CO2-Preisen. Zweitens verhilft das der Wärmepumpe zum Durchbruch, die sich mit sinkenden Stromkosten gegenüber der fossilen Heizungsanlage durchsetzen kann.“
3. Sozialen Ausgleich schaffen, Einführung von Warmmieten
Damit der Anreiz der CO2-Bepreisung, ein Haus klimafreundlich zu sanieren, auch in Mietshäusern wirkt, fordern die beiden Organisationen, das Dilemma zwischen Mietenden und Vermietenden aufzulösen: Mietende können nicht darüber entscheiden, ob ihr Haus gedämmt oder mit klimafreundlicher Heizung warm wird. Sie tragen aber die Kosten, wenn das Heizen mit Öl oder Gas künftig teurer wird. Für Vermietende hingegen rechnet sich ein klimafreundlicher Umbau oft schlichtweg nicht.
„Mit der Einführung von Warmmieten entsteht bei Vermietern der Anreiz, ein Gebäude klimafreundlich zu sanieren. Denn dann profitieren sie von den Kosteneinsparungen durch klimafreundlicheres und – mit neuen Fenstern oder durch Dämmung – effizienteres Heizen“, erklärt Graichen.
Ab 2023 dürfe der CO2-Preis nicht mehr auf Mietenden umgelegt werden. Neben einem Rückerstattungsanspruch müsse deshalb bis zum Ende der nächsten Legislaturperiode eine Warmmieten-Option geschaffen werden. „Wir wollen einen klimaneutralen Gebäudebestand, in dem man gerne wohnt. Und das muss sozial gerecht geschehen“, sagt Graichen.
4. Eine strategische kommunale Wärmeplanung
Bislang werden in Deutschland jährlich etwa 800 000 Heizkessel erneuert. Bisher sind dies vor allem Öl- und Gas-Heizkessel (Wärmeerzeuger, Marktentwicklung in Deutschland, 1999 bis 2020) – in Zukunft werden stattdessen in erster Linie Wärmepumpen eingebaut. Damit Deutschland bis 2045 klimaneutral ist, müssen bis 2030 rund 6 Mio. und bis 2045 etwa 14 Mio. Heizungs-Wärmepumpen eingebaut sein. Die übrigen gut 40 % der Häuser müssen an grüne Nah- und Fernwärmenetze angeschlossen werden.
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„Neben Förderprogrammen und starkem CO2-Preis brauchen wir auch eine intelligente kommunale Wärmeplanung“, sagt Agora-Direktor Graichen. „Größere Kommunen und Städte müssen ihren lokalen Gegebenheiten entsprechend festlegen, welche Häuser künftig an die Wärmeversorgung angeschlossen werden und wo der Einsatz von Wärmepumpe im gedämmten Haus in Frage kommt.“ So könne der Ausbau der Nah- und Fernwärme gezielt vorangetrieben und der Ersatz von mit fossilen Brennstoffen betriebenen Heizungssystemen strategisch geplant werden.
Mehr Tempo bei der Wärmewende
Baake: „Je länger die Regierung wartet, desto größer wird die Belastung für die Hausbewohner. Jede weitere Verzögerung verteuert das Erreichen des Klimaschutzziels und erhöht das Risiko sozialer Verwerfungen. Nur wenn Dämmung oder Erneuerung der Heizungsanlage schon heute mit dem Ziel der Klimaneutralität vereinbar sind, werden Fehlinvestitionen vermieden.“
„Wir brauchen dringend einen Fahrplan für die soziale Wärmewende in Richtung Klimaneutralität, damit endlich Bewegung in den klimaverträglichen Umbau der Häuser kommt“, sagt Patrick Graichen und mahnt, dabei den sozial gerechten Ausgleich der Interessen aller Beteiligten vom Staat über die Wohnungswirtschaft bis hin zu Mietenden im Blick zu behalten. Denn bezahlbarer, energetisch sanierter Wohnraum für alle Einkommensgruppen müsse mit Klimaneutralität 2045 im Einklang stehen.
Die Politikempfehlungen basieren auf dem 99-seitigen Gutachten Agenda Wärmewende 2021, welches das Öko-Institut gemeinsam mit dem Hamburg Institut für Stiftung Klimaneutralität und Agora Energiewende erstellt haben.
Zusätzlich zum gemeinsamen Gutachten hat Agora Energiewende die Publikation Ein Gebäudekonsens für Klimaneutralität. 10 Eckpunkte wie wir bezahlbaren Wohnraum und Klimaneutralität 2045 zusammen erreichen vorgestellt. Auf 40 Seiten schlägt Agora Energiewende ein konkretes Maßnahmenpaket vor, das einen Interessensausgleich zwischen den Akteuren aus Wirtschaft, Mietern, Staat und Zivilgesellschaft berücksichtigt. ■