Die wohl vielsagendste Botschaft über den Zustand der Energiewirtschaft in Deutschland kam vom Chef der Vattenfall Europe, Tuomo Hatakka: „Ja, wir haben eine Strategie: Die Zukunft der Wärme- und Stromversorgung ist grün.“ Allerdings müsse Vattenfall zunächst konsolidieren, da vorhandene Kraftwerkskapazitäten abgeschrieben werden müssten. Neben erneuerbaren Energien (EE) mit Schwerpunkt „Offshore-Windkraft“ setze Vattenfall künftig auf eine grundlastfähige Stromgewinnung aus Wasserkraft, Biomasse und Müllverbrennung in Großanlagen.
Seit Stuttgart 21 müsse man jedoch bei Großprojekten mit Verzögerungen rechnen, so Hatakka. Vor einem weiteren Ausbau der Kraftwerkskapazitäten sei es sinnvoller, zunächst die Energieeffizienz in allen Bereichen der Wirtschaft und des privaten Verbrauchs zu verbessern, denn nur so könne der steigende Stromverbrauch – die Prognose liegt bei 20 bis 30 % in den nächsten 30 bis 40 Jahren – reduziert werden. Zur effizienten Nutzung von EE-Strom in den bestehenden Netzstrukturen sollten vorrangig dezentrale Speicherkapazitäten geschaffen werden, um den Anteil flexibel reagierender Stromerzeuger, also von KWK-Anlagen und GuD-Kraftwerken Abb. 2 im Stromerzeuger-Mix zu erhöhen. Ab einem EE-Anteil von 20 bis 30 % gebe es ansonsten Probleme bei der Netzstabilisierung.
KWK: Betrieb nach Netzbedürfnissen
Auch Dr. Ingo Luge, E.on Energie AG, warnt vor der ungeregelten Einspeisung von EE-Strom, sonst könnten die Netze den Strom bei einem Überangebot nicht mehr transportieren. „Wir brauchen in unseren Netzen mehr Intelligenz anstatt mehr Kupfer“, bringt Luge das Thema auf den Punkt Abb. 3. Allerdings müssten die intelligenten Stromnetze auch finanzierbar sein. „Derzeit bestehen für Investoren wenig Anreize, in Smart Grids und schnell reagierende Kraftwerke zu investieren“, resümiert Luge. Von der Planung bis zur Inbetriebnahme eines hocheffizienten GuD-Kraftwerks dauere es fünf bis sechs Jahre.
Bis dahin werde es aber womöglich gar nicht mehr gebraucht, weil die Stromlücken inzwischen durch dezentrale hochflexible Stromerzeuger nach dem Prinzip der KraftWärme-Kopplung (KWK) kompensiert wurden, gibt Luge zu bedenken. Aber: „KWKAnlagen haben nur Zukunft, wenn sie in erster Linie stromgeführt nach Netzbedürfnissen betrieben werden.“ Für Haushalte mit PV-Anlagen empfiehlt Luge Batteriespeicher nachzurüsten, um die Netze zu entlasten und ein Maximum der auf dem Hausdach erzeugten Energie selbst zu verbrauchen Abb. 4. Ziel von E.on sei es, möglichst viele KWKBetreiber in ein E.on-Steuerungsprogramm nach dem Prinzip eines virtuellen Kraftwerks einzubinden Abb. 5.
Smart City anstatt Smart Grid
Auch Bayerngas-Geschäftsführer Marc Hall sieht in der dezentralen Energieerzeugung mittels BHKW und Mikro-KWK-Geräten die Zukunft. Je dezentraler KWK-Anlagen platziert werden, desto höher sei ihr Gesamtwirkungsgrad. Vorrangig müssten die neuen Gasprodukte auf kommunaler Ebene eingesetzt werden. Dem geplanten Ausbau der Stromnetze steht Hall eher skeptisch gegenüber.
Der „Fußabdruck“ einer Gasleitung sei viel geringer als der einer Starkstrom-Trasse. Um zum Beispiel 14 GW elektrische Energie von Norden nach Süden zu transportieren, brauche man eine Schneise mit fünf parallelen 380-kV-Trassen. Die gleiche Energiemenge fasse eine unsichtbar verlaufende Gaspipeline Abb. 6 mit einem Rohrdurchmesser von 900 mm.
Auch seien Erdgasspeicher weitaus wirtschaftlicher als die geplanten Pumpspeicherwerke, die von der Bevölkerung eher abgelehnt werden. Überhaupt werde die Rolle von Erdgas im zukünftigen Energiemix unterschätzt. Inzwischen wisse man, dass die globalen Erdgasreserven fast unerschöpflich seien, insbesondere durch die „unkonventionellen Quellen“, wie Speichergestein, Kohleflöze, Hydrate, Tiefenquellen sowie zunehmend auch Biomasse und Wasserstoff.
Atemberaubender Wandel
Für Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamtes, ist der Wandel der Energiewirtschaft geradezu atemberaubend. Wichtig sei jetzt der zügige Ausbau von Erzeugerkapazitäten. Dabei komme den Stadtwerken eine wichtige Rolle zu. Diese könnten vom nationalen Vergaberecht freigestellt werden, um Investitionen in Kraftwerke zu beschleunigen, erklärt Mundt. Eine andere Möglichkeit, das Netz zu stabilisieren, läge bei der Industrie, indem sie Bereitschaft zeige, die eigenen Energieerzeuger und Großverbraucher in ein Demand-Side-Management einzubinden.
Johannes Kindler, Vizepräsident der Bundesnetzagentur, beschreibt die Energiewende als „kurvenreiche Strecke“ mit vielen Unwägbarkeiten. Wichtig sei, den Ausbau der Netze und den Ausbau der erneuerbaren Energien in einem gemeinsamen Konzept zu bündeln. Nur so könne überschüssiger EE-Strom aus Norddeutschland in den Süden transportiert werden. Insgesamt sei in Deutschland bis 2020 ein neuer Trassenbedarf von 4450 km notwendig, das entspreche der Strecke von München nach Dubai.
Bedarf bestünde aber nicht nur bei den Überlandtrassen, sondern auch in den regionalen Verteilnetzen. Kindler sieht die künftigen Probleme des Netzausbaus weniger in der Finanzierung als in den langen Genehmigungsverfahren und der schwindenden gesellschaftlichen Akzeptanz gegenüber Großprojekten. Man müsse aber auch ins Kalkül ziehen, dass aufgrund von Marktinteressen Netz- und Erzeugerkapazitäten zurückgehalten werden, um damit Entscheidungsdruck auf politischer Ebene zu erzeugen.
Wichtig sei eine mutige, aber pragmatische Vorgehensweise. Es seien sehr viele Interessen im Spiel, die die Energiewende jeweils zu ihren Gunsten beeinflussen wollten. Zu dem oft zitierten Abschalt- und Verschiebepotenzial von Kühlhäusern hat Kindler eine eher nüchterne Einschätzung. Bei den Betreibern gäbe es derzeit keinen Leidensdruck, Abschaltpotenziale auszuweisen. Kühlhausbetreiber oder die Industrie könnten das drängende Problem Regelenergie allein nicht lösen. Um dafür einen wirtschaftlichen Anreiz zu schaffen, müssten spezielle Geschäftsmodelle entwickelt werden.
100 % EE ist machbar
So gut wie alle Studien über den Ausstieg aus der Nutzung der Kernenergie und die vollständige Abdeckung des Strombedarfs aus Erneuerbaren bis zum Jahr 2050 bestätigen die Machbarkeit des Vorhabens. Prof. Christian Hey, Präsident des Sachverständigenrats für Umweltfragen, sieht die künftigen Herausforderungen weniger in der Energiebereitstellung als in der Energieverteilung und der Energiespeicherung. Deshalb plädiert er für einen eher behutsamen Ausbau von Regelenergiekraftwerken, aber einen forcierten Ausbau der Netze sowie die Entwicklung neuer Speichertechnologien. Spätestens ab dem Jahr 2032 werde Energie aus konventioneller Erzeugung teurer sein als Energie aus den Erneuerbaren, vorausgesetzt es gibt genügend Energiespeicherkapazität und Leitungen. Wichtig seien deshalb Investitionsanreize und die Entwicklung von Geschäftsmodellen für intelligente Stromnetze und neue Speichertechnologien.
Auch Jürgen Becker, Staatssekretär beim Bundesumweltminister, ist überzeugt, dass der Umstieg auf die Erneuerbaren machbar sei, auch wenn aus dem Lager der EVU und der Lobbyisten immer neue Bedenken geäußert werden. Wichtig zur Stabilisierung der Netze sei die flächendeckende Einrichtung von Energiemanagementsystemen bei industriellen Großabnehmern von Strom, insbesondere in der Stahl-, Chemie- und Aluminium-Industrie. Die häufig geforderte Kaltreserve werde nach heutiger Einschätzung nur an wenigen Tagen im Jahr gebraucht, wenn überhaupt. Jetzt müsse ein neues Strommarkt-Design geschaffen werden, das auf die Energiewende zugeschnitten ist. Aus seiner Sicht fördert die Neuaufstellung der Energiewirtschaft in besonderem Maße die heimische Wertschöpfung, also die von Kommunen, Gemeinden und Städten. Das Ausland würde Deutschland um diese Vorreiterrolle beneiden, so Becker. Tenor der Kommentare: Ihr werdet es schaffen! Das ist eine riesige Chance!
RWE: Der Weg ist völlig unklar
Das Ziel ist da, aber der Weg dorthin ist noch völlig unklar. Zu dieser Einschätzung kommt Dr. Leonhard Birnbaum, Mitglied des Vorstands der RWE AG. Aus seiner Sicht müsse das Thema Energiewende global angegangen werden, denn das übergeordnete Ziel sei die Globalisierung des Klimaschutzes und nicht allein die Energiewende in Deutschland. Als erstes müsse man sich um Energieeffizienzmaßnahmen kümmern und nicht nur auf den Ausbau erneuerbarer Energien setzen. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) berge die Gefahr, dass immer weniger Strom nach den Gesetzen des Marktes erzeugt werde und die Regulierung des Strommarktes überhandnehme.
Dadurch seien Investitionen in Kapazitätskraftwerke wirtschaftlich nicht mehr darstellbar, da diese wegen des steigenden Anteils von Erneuerbaren über die Lebenszeit der Kraftwerke gerechnet, immer weniger gebraucht werden. Die Rolle von RWE sieht Birnbaum sowohl im Ausbau von grundlastfähigen Offshore-Windparks als auch von Onshore-Anlagen, die über ganz Deutschland verteilt sein sollten. Auch werde die Bedeutung der Biomasse, sprich von Holzpellets und Hackschnitzeln, für konventionelle Kraftwerke weiter zunehmen. Kaum mehr Chancen gibt Birnbaum der Solarthermie in Deutschland; hier engagiere sich RWE im Andasol-3-Projekt in Spanien. Die große Frage sei, wie stark der Markt bei der Umsetzung der Energiewende reguliert werde. Davon hänge es ab, wohin sich RWE in den nächsten zehn Jahren entwickele.
EWE: Wandel zu dezentralen Strukturen
Für Dr. Willem Schoeber, Vorstandsmitglied, EWE AG, ist der Ausbau der erneuerbaren Energien gleichbedeutend mit einer Abkehr von den bisher zentralen Versorgungsstrukturen hin zu dezentraler Erzeugung. Aufgabe sei es, die Netze möglichst wenig zu belasten sowie die Energie vor Ort zu erzeugen und temporär zu speichern. Die größte Herausforderung werde die Einbindung volatiler dezentraler Einspeiser in die Netze sein. Probleme bereiten das Überangebot an Windstrom im Norden, die Stromlücke durch das Abschalten von Kernkraftwerken im Süden Deutschlands sowie der wachsende öffentliche Widerstand gegenüber Großprojekten und damit auch gegen neue Stromtrassen, sagt Schoeber.
Um das Ungleichgewicht im Stromnetz zu lösen, bedürfe es nach Schoebers Ansicht neuer Geschäftsmodelle mit dem Ziel, die bestehenden Verteilnetze als „Sammelnetze“ für EE-Strom zu nutzen. Dazu sei es nötig, in Stromspeicher zu investieren und monetäre Anreize für „vermiedene Netznutzung“ zu schaffen. Gleichzeitig würde „schaltbare Kraftwerksleistung“ benötigt, die auch von alten konventionellen Kraftwerken bereitgestellt werden könne. Entscheidend für die Netzstabilisierung seien schaltbare dezentrale Einspeiser, wie KWK-Anlagen bzw. KWK-Geräte sowie die Stromspeicherung im Haus, im Stadtteil oder in Elektroautos. Nur so könne die Netzlast reduziert werden. Denkbar seien auch neue Nachtspeicherheizungen, die überschüssigen Windstrom nutzen. Künftig sollten KWK-Anlagen nur noch genehmigt werden, wenn diese vom Netzbetreiber schaltbar sind und über ausreichende Speicherkapazitäten auf der Wärmeseite verfügen. PV-Strom vom Hausdach sollte vor Ort verbraucht bzw. zwischengespeichert und nicht beliebig ins Netz eingespeist werden.
Dezentral erzeugen anstatt Netzausbau
Eine tragende Rolle beim Umbau der Energieversorgung in Deutschland werde den regionalen Stadtwerken zukommen. Diese Botschaft zog sich wie ein roter Faden durch den gesamten Kongress. Für Dr. Werner Dub, Vorstand der MVV AG, Mannheim, bedeutet der Ausbau der erneuerbaren Energien in erster Linie der Aufbau von Stromkapazitäten in Form von Offshore-Windparks, verbrauchsnahen BHKW, stadtnahen Biogasanlagen Abb. 7, Ausbau der Fernwärme auf der Basis von KWK-Anlagen sowie die Netzintegration von privaten PV-Anlagen. Letztere steuern inzwischen rund 42 % oder 18 GW zu den erneuerbaren Energien in Deutschland bei.
Entscheidend für den Ausbau der EE sei ein regionaler Marktplatz für dezentrale Stromeinspeiser, um EE-Strom mit möglichst geringer Netzbelastung über intelligente Stromnetze zu sammeln und zu verteilen. Durch die dezentrale Erzeugung von EE- und BHKW-Strom sowie die Entwicklung von Smart Grids könnten immense Kosten für den bundesweiten Ausbau der Stromnetze vermieden werden. Für Dub ist der Trend zur dezentralen Energieversorgung gleichbedeutend mit einer „Demokratisierung der Energieerzeugung“, ein Begriff von Jeremy Rifkin, Ökonom und Soziologe an der University of Pennsylvania, USA, und Berater der EU-Kommission sowie der Bundeskanzlerin in energiewirtschaftlichen Fragen. Rifkin ist überzeugt, dass die dezentralisierte Energieversorgung und das „Energie-Internet“ – gemeint sind intelligente Stromnetze – zu einer fundamentalen Neuordnung zwischenmenschlicher Beziehungen führen werden.
Erdgas für 250 Jahre
Die Erdgaswirtschaft rechnet damit, dass die geplanten Stromtrassen nicht oder nicht schnell genug realisiert werden können und damit Erdgas stärker in die dezentralen Energieerzeugerstrukturen eingebunden wird. Hans-Peter Floren, Mitglied des Vorstands E.on Ruhrgas AG, sprach in München von einem „epochalen Umbruch“ des europäischen Gasmarkts. Hintergrund der Entwicklung sei die stärkere Vernetzung der globalen Gasmärkte, das wachsende Angebot von unkonventionellem Erdgas aus Schiefergas sowie ein globalisiertes Logistik-Netzwerk von Flüssiggas (LNG, Liquified Natural Gas), die zu mehr Preiswettbewerb auf dem durch lange Lieferverträge dominierten Gasmarkt führen werden.
Derzeit gehe man von einer statischen Reichweite von 250 Jahren aus, insbesondere durch die neu erschlossenen unkonventionellen Erdgasvorräte. Erdgas sei ein Teil der Lösung des Energiewandels, da damit andere fossile Kraftstoffe CO2-reduzierend substituiert werden könnten. Vorteil sei die hohe erreichbare Energieeffizienz bei der Gebäudeheizung, bei der Verstromung in BHKWs und in GuD-Kraftwerken. Außerdem könne die fehlende elektrische Übertragungsleistung von Norden nach Süden auf die Gasschiene verschoben werden. Auch für die Einspeisung von sogenanntem Windgas sowie von Wasserstoff und Bioerdgas stehe das Erdgasnetz zur Verfügung. Dadurch könne auf teure Investitionen in neue Hochspannungstrassen verzichtet werden.
Was die vielbeschworenen GuD-Kraftwerke für Regelenergiezwecke anbelangt, so halten sich die Investoren derzeit eher zurück. „Die Bereitschaft in Gaskraftwerke zu investieren ist nicht so hoch, wie wir es erwartet haben“, sagt Dr. Klaus-Dieter Barbknecht, Vorstand VNG Verbundnetz Gas AG. Ursache sei der bereits hohe und weiter wachsende Anteil von Strom aus erneuerbaren Energien. Zu der erwarteten Gasschwemme durch die Anlandung von LNG werde zunehmend auch Bioerdgas in das Leitungsnetz eingespeist, sodass mittelfristig mit einem Gas-Überangebot und deshalb mit fallenden Gaspreisen zu rechnen sei. Die Gaswirtschaft müsse deshalb in die innovativen Gasprodukte investieren und neue Vertriebskanäle öffnen. Es sei durchaus denkbar, dass der Verbraucher künftig Bioerdgas für seine Hausheizung über das Internet bestellen könne, so Barbknecht.
„Lösungen erfordern Anstrengungen“
So einfach wie bisher lässt sich in der Energiewirtschaft nie mehr Geld verdienen. Zu diesem Resümee kommt Dr. Roman Dudenhausen, Geschäftsführer mia electric GmbH und Vorstand der Conenergy AG. Dies gelte für das klassische Strom- und Gasgeschäft genauso wie für neue Märkte, wie beispielsweise die flächendeckende Lade-Infrastruktur für E-Fahrzeuge. Schon jetzt sei klar, dass sich ein Geschäftsmodell „Lade-Infrastruktur“ kaum rechne, da beispielsweise Pendler ihr Auto entweder zu Hause oder an der Arbeitsstelle mit Strom auftanken. Auch sei der Bedarf an Strom für die Elektrofahrzeuge vergleichsweise gering; für 10000 km – eine typische Jahreskilometerleistung eines Elektroautos – würden gerade einmal 2500 kWh gebraucht.
„Die Geschäftsmodelle der Energiewirtschaft funktionieren bei diesen kleinen Abnahmemengen nicht mehr“, so Dudenhausen. Das sei eher ein Geschäft für typische Abrechnungsfirmen oder die Betreiber sozialer Netzwerke. Dennoch müsse aus Akzeptanzgründen eine öffentliche Lade-Infrastruktur für E-Mobility aufgebaut werden, sonst komme dieser Markt nicht in Gang. Die Energiewirtschaft müsse sich entscheiden ob sie in diesem Markt künftig zuschauen, mitspielen oder dominieren wolle. „Sonst besteht die Gefahr, dass die Stromanbieter diesen Markt an branchenfremde Unternehmen verlieren“, mahnt Dudenhausen.
Prosumer wird Wettbewerber der EVU
Aus Sicht von Dr. Thomas Mecke, Vorsitzender der Geschäftsführung Lekker Energie GmbH, wird sich das Verhältnis von Energieversorgern und Netzbetreibern zum Kunden total wandeln. „Die Oligopolstellung der vier großen Energieversorger verliert an Bedeutung. Dagegen wird die Rolle des Kunden gestärkt.“ Mecke geht davon aus, dass die klassischen EVU Schwierigkeiten bekommen werden, Onshore-Windparks bei der Bevölkerung durchzusetzen. Stattdessen würden Bürger-Windparks entstehen, die eine ungleich höhere Akzeptanz finden und damit auch schneller zu realisieren seien.
Frühere Stromkonsumenten würden durch die Energiewende zu Prosumern, weil sie PV-Anlagen und Mikro-KWK-Anlagen in Eigenregie betreiben und ihren überschüssigen Strom ins Netz einspeisen. Vorstellbar seien künftig auch kommerzielle Speicherbetreiber auf der Basis von Batteriestrom Abb. 8 und Wärme sowie Lastenverschieber und Lastenschalter, die aufgrund von Preissignalen Kundenanlagen bzw. Geräte ein-, aus- oder umschalten. Aufgabe der Energieversorger sei es, den vom Energiekonsumenten zum Prosumer gewandelten Kunden entsprechend zu beraten (Technik, Konditionen) und die Option eines System- oder Anbieterwechsels vorzubereiten. „Solche Lösungen erfordern von den Dienstleistern völlig neue Fähigkeiten und Systeme sowie einen hohen Automatisierungsgrad“, betont Mecke. Im Grunde genommen agiere der künftige Prosumer als Wettbewerber zum EVU. Mehr noch: Viele Kunden werden nicht in erster Linie auf die Rendite sehen, sondern auf ihre neue Unabhängigkeit vom klassischen Energielieferanten.
Sonnige Zukunft für Photovoltaik
Schneller als selbst von den Protagonisten der Photovoltaik erwartet, haben sich die blau-schimmernden PV-Dächer in Deutschland breit gemacht. Für Prof. Dr. Eicke R. Weber, Institutsleiter Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE), ist die PV-Industrie die innovativste Branche, die es überhaupt gibt. Die Motivation der PV-Anlagenbetreiber sei vielfältig und reiche von professionellen Investoren bis hin zu ideologisch orientierten Weltverbesserern. Denn, so Weber: „Jede Kilowattstunde PV-Strom die erzeugt wird, entgeht dem Einfluss der EVUs; deren Wertschöpfung ist damit gleich Null.“
Weiteren Auftrieb für PV-Anlagen erwartet Weber durch die fallenden Preise für PVModule. Schon 2012 könne Grid-Parität erreicht werden. Aufgrund der Förderstruktur sei es dann für den PV-Anlagenbetreiber sinnvoller, den selbst erzeugten Strom im eigenen Haushalt zu verbrauchen. Durch weiter fallende Kosten und höhere Modulwirkungsgrade – Tandemzellen mit Konzentrator Abb. 9 erreichen im Labor bereits über 40 %, im Modul 20 bis 30 % – werde der globale Markt für PV-Anlagen um den Faktor 10 bis 50 weiter wachsen. Von den im Jahr 2010 investierten 26,6 Mrd. Euro in erneuerbare Energien gingen laut BMU-Statistik bereits rund 19,5 Mrd. Euro in PVAnlagen. Treibende Kraft für die Zellen- und Modulentwicklung sei der globale Markt, der von heute 16 TW auf wenigstens 30 TW bis zum Jahr 2050 wachsen werde. Durch die Kostenreduzierungen durch Massenfertigung sowie neue Materialien könne der Preis für PV-Strom auf 5 bis 10 ct/kWh fallen. Damit sei PV-Strom gleich teuer wie Strom aus Wind oder Wasserkraft, aber bedeutend günstiger als Strom aus Kraftwerken mit fossilen Brennstoffen bzw. aus Kernkraftwerken. Weber: „Wir stehen vor einer sonnigen Zukunft.“
„Die PV-Branche ist ein Streichelzoo“
Verständlicherweise sehen die Vertreter der klassischen Energiewirtschaft das massive Vordringen der Erneuerbaren etwas differenzierter. So wird die PV-Branche von den konventionellen Stromanbietern gerne als Streichelzoo grüner Politiker tituliert. Auch heißt es, die PV-Lobbyisten hätten den Bogen überspannt. Aber es gibt auch ernsthafte Bedenken gegen eine Ausweitung des PV-Stromanteils am Strommix. Durch die wahllose Einspeisung von PV-Strom – künftig auch von Strom aus Mikro-KWK-Anlagen – könne die klassische Stromversorgung in ihren Grundfesten zerstört werden, so ein Diskussionsbeitrag. Es stelle sich die Frage, ob es unter diesen Umständen in 20 Jahren noch klassische Kraftwerke geben werde, da deren Rendite dann nicht mehr gewährleistet sei.
Weber erwartet, dass die Veränderungen in der Energiewirtschaft aller Wahrscheinlichkeit nach sehr schnell ablaufen werden. Vergleichbar sei das Vordringen der Erneuerbaren mit der Einführung des Internets, des Euros oder des iPhones. Oft werde verkannt, dass die PV-Technik auch global bereits eine große Rolle spielt. Weber: „Die Photovoltaik ist in Entwicklungsländern bereits heute die preiswerteste Art, Strom zu gewinnen.“
Konsequenzen für die TGA
Auf Veranstaltungen wie dem 6. Deutschen Energiekongress wird die Technische Gebäudeausrüstung (TGA) durch den besonderen Blickwinkel der Energiewirtschaft eher indirekt angesprochen, obgleich ihre Möglichkeiten wichtige Lösungsbestandteile vieler Bausteine der Energiewende sind. Nachfolgend werden darum aus dem Tenor der Veranstaltung Konsequenzen für die TGA/SHK-Branche abgeleitet.
Gebäudetechnik zur Netzstabilisierung
Die zunehmende Volatilität der Stromversorgung durch die Einspeisung von Wind- und PV-Strom könnte dazu führen, dass für jedes Gebäude ab einer bestimmten Größe das Abschalt- und Verschiebepotenzial bestimmt und zur Verfügung gestellt werden muss. Bei Prosumern, also Anbietern von Strom aus PV-Anlagen, BHKW, Netzersatzanlagen oder bei Energiespeicherbetreibern wird künftig auch die Option Regelenergieangebot interessant.
Neue Regelungskonzepte
Die eindimensionale Regelung von HLK-Anlagen nach Außen- bzw. Raumtemperatur greift bei intelligenten Gebäuden zu kurz. Prädiktive Regelungen mit Wettervorhersage- bzw. Wetterprognoseaufschaltung Abb. 10 sowie die Verarbeitung von kurz- und mittelfristigen Stromtarifangeboten aus überschüssigem Wind- und PV-Strom bzw. aus Windgas werden nach und nach Eingang in die Regelung und Steuerung von Heizungs-, Lüftungs-, Klima- und Kälteanlagen finden. Ebenso werden Speicherladestrategien für betonkerntemperierte Gebäude auf der Basis voraussichtlicher Wetterentwicklungen und Tarifangebote interessant, je stärker die last- bzw. zeitvariablen Stromtarife aufgrund volatiler Stromangebote auseinanderdriften.
Windstrom-optimierte Anlagenplanung
Kühlhäuser gelten in der Stromwirtschaft als ideale Energieverbraucher zur Lastverschiebung oder um freie, fluktuierende Stromangebote aus Windkraft- und PV-Anlagen zu Niedrigstromtarifen zu nutzen. Auch konventionelle Klimaanlagen bzw. deren Flüssigkeitskühlsätze eigenen sich nach Aussage von Energieexperten hervorragend zur Einbindung in ein virtuelles Kraftwerk. In Frankreich werden Klimaanlagen mit Eisspeichern Abb. 11 zur Verminderung der Anschlussleistung und als schaltbare Last von den Energieversorgern seit Jahren gefördert. Nach Ansicht von Johannes Kindler, Vizepräsident der Bundesnetzagentur, bedarf es zusätzlicher finanzieller Anreize insbesondere für die Industrie, damit mehr Abschalt- und Verschiebeleistung und in Zukunft auch prädiktive Anschaltleistung von Kundenanlagen zur Verfügung gestellt wird.
Inwieweit es sich lohnt, Heizungs-, Lüftungs-, Klima- und Kälteanlagen gezielt mit Speichermöglichkeiten auszurüsten, um Niedrig- bzw. Niedrigststromtarife nutzen zu können, ist noch offen. Eine Studie der Bundesnetzagentur zu Demand-Side-Management in Haushalten hat gezeigt, dass das Abschalt- und Verschiebepotenzial umso geringer und damit unwirtschaftlicher wird, je energieeffizienter die Hausgeräte sind. Das lässt den Schluss zu, dass vor dem Einbau von Energiespeichern für Demand-Side-Management zunächst das Energieeffizienzpotenzial der Anlagen ausgeschöpft werden sollte.
PV-Anlagen werden grundlastfähig
PV-Anlagen zählen zu den am stärksten fluktuierenden Einspeisern in das Stromnetz. Netz- und Kraftwerksbetreiber fordern deshalb eine Begrenzung der unkontrollierten Einspeisung. Interessant ist die Aussage von Dr. Leonhard Birnbaum, Mitglied des Vorstands RWE AG, dass PV-Anlagen mit Stromspeicher im Verständnis der Kraftwerkswirtschaft „grundlastfähig“ sind. Damit wird die PV-Anlage auf dem Hausdach gegenüber der solarthermischen Anlage nochmals deutlich aufgewertet, kann sie doch mit Batteriepack zur Stabilisierung der Netze beitragen. Birnbaum ist positiv, dass der Bürger solche Konzepte umsetzen wird, auch wenn diese teuer sind. Zitat: „Die Bürger machen bei den Erneuerbaren was sie wollen, auch wenn es nicht ökonomisch ist.“
Je nach Subvention (direkt/indirekt) könnte der häusliche Stromspeicher schnell zum Renner werden, vermittelt die Vorhaltung einer Tages- oder Mehrtagesration von Strom dem Verbraucher doch eine gewisse Sicherheit und Autonomie, selbst wenn diese gering ist. Durch ein entsprechendes Marketing kann die Branche mit dem sogenannten Prius-Effekt rechnen. Bekanntlich ist das japanische Hybridauto im Unterhalt bei Vollkostenrechnung (das heißt, unter Berücksichtigung von zwei Ersatzbatterien innerhalb des Fahrzeug-Lebenszyklus) deutlich teurer als ein konventionelles Fahrzeug gleicher Größe. Der hohe „Öko-Protz-Faktor“ von häuslichen Stromspeichern nach dem Motto „mein Hauskraftwerk, mein Stromspeicher, mein Elektroauto“ könnte für die teuren aber weniger Lifestyle verbreitenden Solarthermie-Anlagen einen weiteren Abstieg bedeuten – es sei denn, PV und Solarthermie verbünden sich zu einem Hybridsystem. Dann profitieren die schwächelnden Warmwasser-Kollektoren vom Glanz der PV-Branche und von den selbstlosen Klimarettern, denen Umweltschutz wichtiger als die Rendite ist.
Kooperationen mit Stadtwerken
Stadtwerke und lokale Energieeffizienz-Initiativen bringen die Energiewende schneller voran als die etablierten Stromversorger. Dabei geht es oft darum, bestimmte Energieträger stärker zu fördern, beispielsweise Erd- und Biogas oder Strom für Wärmepumpen. Fachfirmen aus dem HLK-Bereich profitieren von den Initiativen, solange ihnen nicht die Preise diktiert werden. Der Vorteil für die HLK-Fachfirmen liegt darin, dass Stadtwerke und Initiativkreise meist den „Behördenkram“ übernehmen, Endverbraucher ansprechen und ggf. auch Schulungen anbieten, zum Beispiel für die Installation von Mikro-KWK-Geräten. Fachfirmen mit HLK- und Elektroabteilung werden am meisten von der Energiewende profitieren, insbesondere wenn Stromspeicher im Haus Standard werden.
Boom bei Biogasanlagen
Gewinner der aktuellen Energiesituation sind zweifellos die Anbieter und Betreiber von Biogasanlagen. Laut Fachverband Biogas sind derzeit in Deutschland rund 7000 Anlagen in Betrieb, Tendenz steigend. Womöglich profitiert diese Branche vom zögerlichen Netzausbau sowie vom Wunsch vieler Kommunen nach mehr Autonomie bei der Stromversorgung. „Heimatstrom“ aus Agrarrohstoffen, Gülle, Haushalts- und Gewerbeabfällen sollen hier verstärkt zur Stromerzeugung genutzt werden. In lokal organisierten Netzen und virtuellen Kraftwerken können Biogasanlagen Abb. 7 sowohl in der Grundlastversorgung eingesetzt werden aber auch – und das scheint die interessantere Variante zu sein – als Anbieter von Regelenergie.
Zumindest bei größeren stadtfernen Biogasanlagen ist damit zu rechnen, dass der Betreiber das Biogas nicht vor Ort verstromt, sondern zu Bio-Erdgas veredelt und in das Gasnetz einspeist. Der Vorteil: Die erneuerbare Energie „Bio-Erdgas“ steht sowohl für die konventionelle Verbrennung in Heizgeräten, für die Vor-Ort-Verstromung in Mikro-KWK-Anlagen und BHKWs als auch als Treibstoff für Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor zur Verfügung. Allgemein geht die Tendenz weg von der Hof-Biogasanlage hin zu Großanlagen, die von Genossenschaften, Investoren, Stadtwerken oder klassischen EVU finanziert und betrieben werden. In der Peripherie dieser Anlagen entstehen verstärkt Nähwärmenetze, die ganze Ortschaften mit Wärme beliefern.
Engpass Fach- und Montagepersonal
Selbst wenn die geplanten Stromtrassen von Norden nach Süden zügig genehmigt werden, fehlt es sowohl an den notwendigen Komponenten und Materialien als auch an Montagekapazität. Gleiches gilt auch für die anspruchsvolle Integration von Mikro-KWK-Geräten und BHKWs in das Wärmesystem bzw. das Stromnetz. Auch existiert das viel beschriebene Smart Grid bisher eher in den Köpfen von Politikern und weniger in der Realität. Es wird also noch einige Jahre dauern, bis zeit- und preisvariable Tarifsignale für Strom und Gas auf dem iPhone aufblinken.
Fazit
Ideen zur Vergleichmäßigung der Stromabnahme sowie die Nutzung von preisattraktiven Überschussstrom aus Windkraft- und PV-Anlagen gibt es genug, ebenso Visionen über die künftige Rolle von Millionen Mikro-KWK-Anlagen, die überschüssigen Strom in Elektroautos einspeisen und deren Batterien als Puffer für virtuelle Kraftwerke zur Verfügung stellen. Was fehlt, sind langfristig tragfähige Geschäftsmodelle, um diese smarten Verknüpfungen zu finanzieren Abb. 12. Aber auch die dazu notwendige IT gilt als nicht trivial.
Die Energiewirtschaft hält sich derzeit mit Großinvestitionen in Kraftwerke, Speicher und Netzausbau eher zurück. Dr. Ludwig Möhring, Geschäftsführer der Wingas brachte es auf den Punkt: „Wer sich heute für den Bau eines Gaskraftwerkes entscheidet, weiß nicht, welche Energiepreise er nach der Inbetriebnahme bekommt.“ Ähnlich argumentieren potenzielle Investoren von Pumpspeicherwerken, Druckluftspeicher und Großbatterien. Tenor: Niemand kann heute voraussagen, ob sich die Investitionen auch lohnen. Übertragen auf die Gebäudetechnik heißt das: Vorsicht bei hochinvestiven Maßnahmen, Energiespeichern und Smart-Grid-Funktionen solange keine verlässlichen Zahlen über die Wirtschaftlichkeit von zeit- bzw. lastvariablen Tarifen vorliegen. Am wirtschaftlichsten dürfte es sein, die Energieeffizienz der vorhandenen Anlagen und Gebäude zu verbessern sowie ohnehin vorhandene Speicherpotenziale, z.B. das Speichervermögen von Gebäuden oder von Kühlgut, zu nutzen.
Die größte Unbekannte in der Energiewende ist jedoch die Macht der Lobbyisten. Technisch und wirtschaftlich überzeugende Lösungen bleiben womöglich auf der Strecke, weil sie nicht in die bestehenden Geschäftsmodelle der mächtigen Lobbygruppen passen. Staatssekretär Jürgen Becker beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt in dieser Situation: „Weniger ist manchmal mehr, auch beim Lobbyismus.“ •
Wolfgang Schmid
ist freier Fachjournalist für Technische Gebäudeausrüstung, München, wsm@tele2.de