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Frauke Rogalla, Verbraucherzentrale Bundesverband, über intelligente Stromzähler

“Es fehlen Geschäftsmodelle, die den Markt in Bewegung bringen“

Schmid: Die meisten Verbraucher befürworten die Energiewende, den intelligenten Stromzähler – neudeutsch Smart Meter – lehnen sie jedoch weitgehend ab. Worauf führen Sie diese Skepsis zurück?

Rogalla: Es ist richtig, dass die Verbraucher die Energiewende befürworten. Allerdings verstehen die meisten Menschen nicht, was der intelligente Stromzähler mit der Energiewende zu tun hat. Hier besteht offensichtlich ein großes Informationsdefizit. Außerdem fehlen bis heute die Beweise, dass die gängigen intelligenten Stromzähler für den Verbraucher wirklich zu einer Kostenentlastung führen. Fakt ist, dass die Installation intelligenter Zähler zusätzliche Kosten verursachen, in vielen Fällen auch für Dienstleistungen rund um den Zähler. Das heißt, jetzt muss erst einmal der Nachweis erbracht werden, dass der Verbraucher durch einen intelligenten Stromzähler und preisvariable Tarife auch wirklich Energiekosten einspart. Das Kosten-Nutzen-Verhältnis spielt hier eine ganz große Rolle.Schmid: Gibt es aus den laufenden Leuchtturmprojekten schon konkrete Zahlen über mögliche Kosteneinsparungen? Rogalla: Die neuesten Zahlen stammen aus dem Intelliekon-Projekt1). Dort wurden Energiekosteneinsparungen von etwa 3,7 %2) realisiert. Bei derart niedrigen Einsparungen ist nicht davon auszugehen, dass sich die Investitionen jemals amortisieren. Schmid: Das Internet der Energie scheint ja noch ziemlich in den Anfängen zu sein. Das gilt auch für die Aktivitäten der peripheren Branchen, beispielsweise der Heizungs-, Elektro- oder Hausgerätebranche. Auch die Ausrüster von gewerblichen Gebäuden, also von Lüftungs-, Klima- und Kälteanlagen, halten sich mit Lösungen, Komponenten-Angeboten oder Dienstleistungen rund um das Thema Smart Metering/Smart Grid zurück. Welche Branche könnte hier eine Vorreiterrolle übernehmen?Rogalla: Im gewerblichen Bereich sind die Einsparungen natürlich höher als im privaten Haushalt. Deshalb ist zu erwarten, dass sich für diese Zielgruppe Geschäftsmodelle einfacher entwickeln lassen. Im Endkundenmarkt rund um den privaten Haushalt müssten alle Branchen um die intelligenten Zähler herum attraktive Angebote und Dienstleistungen aufbauen.

Der Zähler alleine wird ohne zusätzliche Dienstleistungen nie ein Verkaufsschlager werden. Im Grunde muss ein Smart Meter bei einer Erneuerung der Heizungsanlage oder der Anschaffung von neuen Hausgeräten zusammen mit einer entsprechenden Dienstleistung an­geboten werden. Die jeweiligen Anbieter müssten den intelligenten Stromzähler mit ihren Produkten oder Geräten in ein Geschäftsmodell integrieren, von dem beide profitieren. Leider gibt es dafür, mit Ausnahme von Miele-Haushaltsgeräten, noch keine fertigen Lösungen. Allerdings arbeitet Miele mit einem eigenen Bussystem3). Aus Sicht des Verbraucherverbandes muss das Prinzip der Interoperabilität immer eingehalten werden, das heißt, wir brauchen in diesem Bereich offene Protokolle, auf die sich Anlagen und Geräte aller Hersteller aufschalten lassen.

Schmid: Nicht nur Gerätehersteller und Dienstleister, auch die Energieversorgungsunternehmen (EVU) halten sich bis auf die bekannten Pilotprojekte beim intelligenten Stromzähler zurück. Das ist eigentlich verständlich, denn die EVU sollen in eine Technologie investieren, mit der die eigene Wertschöpfung geschmälert wird. Wie entkommt ein Stromanbieter diesem Dilemma? Rogalla: Das ist eine wirklich spannende Frage. Man muss diese Herausforderung in einem größeren Kontext sehen. Die Energiewirtschaft befindet sich in einem Wandel von der reinen Versorgungswirtschaft zum Dienstleister. Leider entsteht der Eindruck, dass dieses Umdenken bei den Versorgern noch nicht richtig angekommen ist. Noch fehlen den EVU die entsprechenden Geschäftsmodelle, um an den Energiekosteneinsparungen der Verbraucher durch die Einführung preisvariabler Tarife zu parti­zipieren.

Hinzu kommt, dass künftig der Verbraucher mehr in die Lage versetzt wird, selbst Energie zu erzeugen und an den Versorger zu festen Konditionen zu verkaufen. Die Energiewirtschaft muss sich also neu aufstellen, um Energieverkauf, Energieeinspeisung durch Kleinanbieter, Effizienzverbesserung, Netzsteuerung und Energiespeicherung miteinander in einem Geschäftsmodell zu verbinden.

Solche Modelle sind aber nur dann erfolgreich, wenn sie sehr individuell an den jeweiligen Haushalt, das Gebäude oder das Gewerbe angepasst werden können. Viele Energieversorger konzentrieren sich derzeit allein auf den intelligenten Zähler. Unserer Auffassung nach wird aber genau dieser beim Kunden nicht im Mittelpunkt stehen. Der intelligente Stromzähler war bei der Energiewirtschaft noch nie ein beliebtes Thema, auch vor der Energiewende waren die Aktivitäten minimal. Was bisher auf diesem Markt realisiert wurde sind zu einem großen Teil Alibimaßnahmen. Also nochmals: Es fehlt an Geschäftsmodellen, die den Markt in Bewegung bringen.

Schmid: Bei nüchterner Betrachtung wird der Endverbraucher durch das ständige Monitoring seines Energieverbrauchs und seiner Nutzungsgewohnheiten gläsern und zwar gegenüber der eigenen Familie genauso wie gegenüber seinem Stromversorger oder Dienstleister. Konflikte und somit die Ablehnung des intelligenten Stromzählers sind damit vorprogrammiert. Wie wichtig sind diese Nutzungsprofile? Welche Daten sollten gespeichert werden, welche nicht? Was schlägt Ihr Verband vor, um die Akzeptanz intelligenter Stromzähler zu verbessern? Rogalla: Datenschutz und Datensicherheit sind ganz wesentliche Voraussetzungen für den Einsatz von intelligenten Stromzählern. Der Schutz der Privatsphäre ist deshalb das größte Anliegen der Verbraucher, das zeigt auch unsere Umfrage. Auch der Gesetzgeber hat dies erkannt und im Änderungsgesetz zum Energiewirtschaftsgesetz berücksichtigt.

Hier gibt es neue Regelungen zur Stärkung der Verbraucherrechte und des Verbraucherschutzes. Aus Sicht des Verbraucherschutzes sollten die intelligenten Stromzähler beim Einbau zunächst dumm sein. Weitergehende Funktionen sollten nur mit Zustimmung des jeweiligen Verbrauchers aktiviert werden können. Deshalb muss bei künftigen Energielieferungsverträgen das Kleingedruckte sehr transparent sein, das gilt insbesondere für die Weitergabe von Kundendaten und für die Erstellung von Nutzerprofilen. Die stufenweise Zustimmung muss ganz klar definiert sein. Pauschale Einverständnisse lehnen wir ab.

Voraussetzung für die Bereitschaft des Verbrauchers für die Freischaltung weiterer Dienstleistungen ist natürlich ein überzeugendes Tarif­angebot im Niedrigtarifbereich. Ohne attraktive Preisangebote verliert der Verbraucher das Interesse. Der Datenschutz muss über den intelligenten Stromzähler hinaus auch das intelligente Stromnetz umfassen.

Ein anderes Thema ist der In-Haus-Datenschutz, denn ein intelligenter Stromzähler hat natürlich eine bestimmte Kontrollfunktion. Dies besonders dann, wenn der Nutzer über mobile Geräte wie etwa ein Smart-Phone Zugriff auf den Zähler hat. Damit werden die Verbrauchergewohnheiten der Familienmitglieder transparent. Aber da muss dann jede Familie selbst entscheiden, wie solche Dinge gehandhabt werden. Das fällt in den privaten Bereich.

Schmid: Gibt es überhaupt genügend Geräte sowie die entsprechenden Schnittstellen und das dazugehörende Kommunikationsnetz? Wann lohnt es sich für den Endkunden, intelligente Stromzähler einzubauen, wann nicht? Rogalla: Das ist ganz unterschiedlich. Im Haushalt würde ich sagen eher nein, da muss man sehr genau hinsehen und dann entscheiden, ob das Abschalten oder Verschieben von Gerätenutzungszeiten auch praktikabel ist. Das hängt auch ganz von den Abläufen in den Familien ab. Berufstätige Paare und Single-Haushalte haben ein anderes Nutzungsprofil als kinderreiche Familien. Ob Abschalt- und Verschiebebetrieb mit Kühlschränken oder Gefriertruhen praktikabel sind und zu überzeugenden Kosteneinsparungen führen, muss erst die Praxis zeigen. Gefrier- und Kühlgut sind sehr temperatursensibel, sodass mit den heutigen Geräten ein nur geringes Abschalt- und Verschiebepotenzial besteht. Schmid: Macht es Sinn, auch Heizgeräte wie Wärmepumpen, Wohnungslüftungsgeräte und Warmwasserspeicher in ein zeit- und lastvariables Strommanagement einzubinden? Können Sie sich vorstellen, dass die Nachtstromspeicherheizung im hochwärmegedämmten Haus als eine Art Überschussstrom-Speicherheizung Einzug hält? Solche Lösungen werden auf Fachkongressen bereits diskutiert. Rogalla: Im Wärmebereich gibt es sicherlich mehr Einsparpotenzial als im Strombereich. Es ist gut, dass diese Lösungen diskutiert werden und auch über bestimmte Synergien nachgedacht wird. Für Verbraucher wird es aber erst interessant, wenn attraktive Preisangebote verschiedener Energieträger miteinander verbunden werden können.

Die Diskussion über die Einbindung von Nachtstromspeicherheizungen in intelligente Stromnetze zeigt, wie verzweifelt die EVU nach Speichermöglichkeiten im Haushaltsbereich suchen. Allerdings denken wir als Vertretung der Verbraucher, dass nicht auf alte und ineffi­ziente Technologien und Lösungen gesetzt werden sollte, die eigentlich schon überholt sind. Jetzt ist es wichtig, Speicher zu entwickeln, die in Haushalten wirtschaftlich betrieben werden können.

Schmid: Wie könnte aus Sicht der Verbraucherzentrale eine Road Map zur Einführung des intelligenten Stromzählers im Haushalt aussehen? Wer ist jetzt am Zug? Rogalla: Zunächst brauchen wir eine Wirtschaftlichkeitsanalyse, welche die verschiedenen Kunden- und Verbrauchergruppen sowie ihre Potenziale zur Verschiebung von Lasten ermittelt. Auf Basis dieser Erkenntnisse sollte dann entschieden werden, wie eine Einführungsstrategie für preisvariable Tarife auf­gebaut werden kann.

In jedem Fall muss durch kontinuierliches Monitoring der Tarifstrategien sichergestellt werden, ob die in Aussicht gestellten Vorteile für die Verbraucher auch tatsächlich bei diesen ankommen und der Datenschutz und die Datensicherheit garantiert sind. Mittelfristig muss dann die Voraussetzung für flexiblere Tarife geschaffen werden. Nur so hat der intelligente Stromzähler die Chance zu einem Erfolgsmodell.

Schmid: Vielen Dank für das Gespräch. •

1) Ergebnisse aus dem Intelliekon-Projekt: http://www.bit.ly/int_erg bzw. http://www.intelliekon.de/nachrichten/intelliekon-ergebnisse-zurenergieeinsparung-durch-smart-metering

2) Im Intelliekon-Feldversuch ergibt sich insgesamt eine Verbrauchs­einsparung durch Feedback von 3,7 %. In den acht deutschen Städten waren es durchschnittlich 2,4 %, in Linz (mit einem Schwerpunkt der Teilnehmer) 4,3 %.

3) Anmerkung der Redaktion: Kommunikationsfähige Miele-Haus­geräte mit Smart-Start-Funktion sind mittels Powerline mit dem Miele-spezifischen Gateway verbunden. Hausgeräte anderer Hersteller bzw. andere Hausbussysteme müssen über einen Systemintegrator einge­bunden werden, was zusätzliche Kosten verursacht. Im nächsten Jahr soll die Vernetzungsplattform „Smart Connect“ als neuer Standard zur Vernetzung von Hausgeräte-Komponenten eingeführt werden und auch anderen Herstellern und Branchen offenstehen. Gründer sind die Deutsche Telekom, Miele, E.on, EnBW und eQ-3.

Mehr Infos zum Thema im TGAdossier Smart Metering und Smart Grid: Webcode 977

Vita

Frauke Rogalla, (27) studierte Verwaltungswissenschaften und Europastudien an den Universitäten Münster und Enschede (Niederlande) sowie Internationale Politik und Europastu­dien an der Universität Warwick (Großbritannien), wo sie jeweils mit Auszeichnung ihr Studium ­abschloss. Nach ihrem Studium arbeitete sie für das Ökoinstitut in Berlin.

Seit September 2009 ist sie Referentin im Fachbereich Bauen, Energie und Umwelt beim Verbraucherzentrale Bundesverband, wo sie sich zunächst mit der Energieeffizienz von Produkten und insbesondere der Umsetzung der Öko­designrichtlinie beschäftigte. Mittlerweile liegen ihre Arbeitsschwerpunkte bei der Integration von erneuerbaren Energien, Stromnetzausbau und -erneuerung, Smart Metering und Smart Grids sowie bei Fragen der allgemeinen Energie­effizienzpolitik. Sie ist Mitglied in verschiedenen ­Arbeitsgruppen der „Plattform für zukunftsfähige Netzte“, die die Bundesregierung berät.

Smart Meter in der EU 80 % Abdeckung bis 2020?

Die im November 2011 von trend:research veröffentlichte Studie „Smart Metering in Europa bis 2020: Marktentwicklung und Potenziale in ausgewählten Ländern“ kommt zu dem Ergebnis, dass die Umsetzung sehr unterschiedlich voranschreitet: Während Italien sowohl nach Ansicht vieler deutscher als auch ausländischer Energieversorger als Land mit schneller Umsetzung bewertet wird, erwarten lediglich die ausländischen Befragungsteilnehmer in Deutschland eine schnelle Umsetzung des Smart-Metering-Einsatzes. Die unterschiedliche Wahrnehmung sei möglicherweise auf zahlreiche Pilotprojekte und intensive Diskussionen um Technologien, Datenschutz und Wirtschaftlichkeit in Deutschland zurückzuführen. In der Studie wurden die Länder in vier Gruppen eingeteilt: Staaten, in denen die Umsetzung dynamisch erfolgt, marktgetriebene Länder, „unentschlossene“ sowie „zögerliche“ Länder. Deutschland wurde der zweiten Gruppe zugeordnet, da die Umsetzung hauptsächlich über Pilotprojekte und Initiativen der Netzbetreiber vorangetrieben wird. Eine vom Endkunden ausgehende Nachfrage nach Smart Metering besteht aufgrund der Anschaffungs- und Installationskosten in keinem der betrachteten Länder. Unter Berücksichtigung der spezifischen Rahmenbedingungen in den Ländern kommt trend:research in der Prognose des Smart-Meter-Rollouts zu dem Ergebnis, dass nur in Dänemark, Italien und Großbritannien in allen drei Szenarien die EU-Vorgabe (bis 2020 sollen 80 % aller Stromkunden einen Smart Meter erhalten) übererfüllt wird. In Deutschland wird im Referenzszenario das Ziel erreicht, im degressiven Szenario bleibt der Rollout unter 50 %. https://www.trendresearch.de/

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