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Johannes Milde über integrierte Systeme und ihre Smart-Grid-Interaktionen

“Power-Management brauchen wir als neue Automationsfunktion“

Schmid: Systeme der Gebäudeautomation, Brandmeldeanlagen und Zugangskontrolle wachsen zusammen. Hinzu kommen Energiemanagement- und Controlling-Systeme, Lastmanagementsysteme und Smart-Grid-Funktionen. Wie wird aus Ihrer Sicht diese Entwicklung verlaufen?

Milde: Es gibt weiterhin viele Kunden, die diese Gewerke getrennt ausschreiben. Es ist aber richtig, dass der Trend in die Richtung einer höheren Integration geht. Dazu wird in Zukunft noch eine zusätzliche Automatisierungsfunktion im Gebäude nötig werden – nämlich das Power-Management von der Stromerzeugung über die Energiespeicherung bis hin zum Verbrauch. Dies wird benötigt, um die Eigenproduktion und den Eigenverbrauch von erneuerbaren Energien zu steuern und mit den intelligenten Netzen zu kommunizieren. Die bidirektionale Kommunikation zwischen dem Smart Grid und intelligenten Gebäuden ermöglicht es, dass Gebäude auf variable Stromtarife reagieren und ihr Last-Management entsprechend anpassen können. Auch Verbrauchs- und Erzeugungsvoraussagen für das Smart Grid und das Gebäude können auf diese Weise ausgetauscht werden.

Die Nachfrage nach integrierten Systemen, die eine bessere Evakuierung in Gebäuden ermöglichen, steigt ebenfalls. Durch die Integra­tion von Brandschutzsystemen mit Sprachalarm- und Massen-Evakuierungssystemen, Löschlösungen, Notfallbeleuchtungs- und Gebäude­managementsystemen Abb. 2 lässt sich zielgerichtet evakuieren und Leben retten – eine große Hilfe für die Einsatzkräfte. Solche Systeme werden es in Zukunft erlauben, auch die wichtigsten technischen Alarme zuverlässig und nach vordefinierten Prozessen zu behandeln, wodurch Gefahrenmanagement und Gebäude­automation auf Ebene der Managementsta­tionen noch enger zusammenwachsen.

Schmid: Sind die Synergien aus der Zusammenführung der Systeme so gravierend, dass sich der doch hohe Integrationsaufwand lohnt?

Milde: Wo kein Nutzen vorhanden ist, sollten auch keine integrierten Systeme eingesetzt werden. Heute wird viel Geld ausgegeben, um verschiedene Systeme nachträglich miteinander zu verbinden und zu integrieren. Wenn diese Absicht besteht, ist es auf jeden Fall wirtschaft­licher, ein integriertes System zu beschaffen. In Zukunft werden solche Systeme immer häufiger ausgeschrieben werden. Der Nutzen liegt in einer höheren Energieeffizienz, aber auch in einer optimierten Führung von Personen in den Gebäuden sowie der sicheren Evakuierung im Gefahrenfall. Darüber hinaus lassen sich Betriebs- und Unterhaltskosten weiter optimieren.

Schmid: Brandschutzeinrichtungen unterliegen spezifischen, sehr anspruchsvollen Regelwerken. Wie wirkt sich dieser hohe Anspruch auf hochintegrierte Gebäudesysteme aus? Wie weit greift das VdS-Regelwerk in die peripheren Gewerke ein?

Milde: Integrierte Systeme wie die von Siemens sind so ausgelegt, dass diese Anforderungen erfüllt werden. Sie können als dediziertes Brandschutzsystem eingesetzt werden. In den USA ist beispielsweise unsere neue integrierte Managementstation Desigo CC für den Einsatz als Gefahrenmanagementsystem von UL (Anmerkung: Underwrites Laboratories) approbiert worden. Der VdS (Anmerkung: VdS Schadensverhütungs GmbH, vormals: Verband der Sachversicherer) hat den Trend der zunehmenden Integration und anlagenübergreifenden Vernetzung von Brandmeldeanlagen mit anderen – auch brandschutzfremden – Anlagen aufgegriffen und sein Regelwerk um entsprechende Richtlinien ergänzt. Dabei werden zum Beispiel Anforderungen an die Integrität und Sicherheit von Übertragungswegen beschrieben, damit der hohe Standard der Brandschutzanlagen auch weiterhin gewährleistet ist.

Schmid: Immer mehr Intelligenz wandert in die Feldebene. Bereits heute kritisieren System­integratoren den Trend zur Intelligenz von Subsystemen, die sich äußeren Zugriffen verschließen, beispielsweise Wärmepumpen- oder Kältemaschinen-Regler oder die Regler von Wärmerückgewinnungssystemen. Behindern solche smarten Regler ein integrales Regelungskonzept, beispielsweise nach Smart-Grid-Strategien?

Milde: Dass die Feldebene und die einzelnen Aggregate intelligenter werden, ist grundsätzlich richtig. Wir sind große Verfechter von verteilter Intelligenz in Gebäuden. Das hilft dem teilautonomen Betrieb, kann die Ausfallsicherheit erhöhen und ermöglicht effizientere Unterhalts- und Wartungskonzepte. Die Teilsysteme dürfen sich aber nicht dem Zugriff von außen entziehen. Sie müssen kommunikationsfähig und von außen beeinflussbar sein und wichtige Zustandsinformationen kommunizieren können. Dann können sie in übergeordneten Systemen und intelligenten Netzen sinnvoll genutzt werden. Ein intelligentes Netz, das bis zum einzelnen Gerät misst, regelt und steuert, ist aus unserer Sicht nicht realisierbar. Ein intelligentes Netz muss auf Teilautonomie und lokal intelligente Zellen aufbauen, die miteinander kommunizieren – das zumindest ist unsere Sicht als Gebäudeautomatisierer.

Schmid: Über intelligente Stromnetze werden Gebäude, Netze, private und gewerbliche Einspeiser sowie Netzbetreiber und die Energieversorger immer stärker miteinander verwoben. Steigen damit nicht auch die Risiken für intelligente Gebäudesysteme? Hacker wollen ja oft nur beweisen, dass die Netze unsicher sind. Wie schätzen Sie die Gefahr durch Hacker ein? Wie kann sich ein Gebäudebetreiber vor Angriffen schützen?

Milde: Das ist in der Tat eine große Herausforderung. Die Gefahr besteht heute schon in vielen Bereichen und wird mit der zunehmenden Vernetzung weiter ansteigen. Die Sicherheit der intelligenten Systeme wird in der Zukunft eines der wichtigsten Differenzierungsmerkmale von Systemen und Komponenten sein. Als einer der weltweit größten Anbieter intelligenter Automatisierungssysteme für Industrie und Infrastrukturen nehmen wir dieses Thema sehr ernst und arbeiten mit den jeweils neuesten und sichersten Schutzmechanismen.

Schmid: Wissenschaftler weisen zunehmend auf die Verletzbarkeit von hochintegrierten Netzen hin. Tenor: Je besser etwas funktioniert, desto gravierender sind die Folgen, wenn etwas ausfällt. Wo sehen Sie die Grenzen integrierter Systeme in der Gebäudetechnik?

Milde: Alle technisch anspruchsvollen Systeme müssen ausfalltolerant ausgelegt sein. Deswegen auch die Forderung nach verteilter Intelligenz. Ein integriertes Gebäudesystem muss bei Ausfall mindestens so gut arbeiten, wie nichtintegrierte oder nicht-automatisierte Lösungen. Mit unserer Technologie können wir das – wo gewünscht – sicherstellen.

Schmid: Von mehreren Seiten wird bereits eine Vereinfachung der Systeme gefordert nach dem KISS-Prinzip: Keep it simple and stupid. Siemens verfolgt hier eine eher gegenteilige Strategie. Wo ist die Teilung und Vereinfachung der Systeme sinnvoll, wo die Integration?

Milde: Der Grundsatz KISS sollte überall gelten. Darum bieten wir Systeme und Lösungen für alle Anforderungen an – von den einfachen Lösungen, wie sie heute oft in den neuen Märkten benötigt werden bis zu den hoch integrierten Lösungen.

Einfach heißt heute aber nicht unintelligent. Das Beispiel iPhone und iPad zeigen, dass heute oft die intelligentesten Lösungen als einfach angesehen werden, wenn sie intuitiv bedient werden können und sich so verhalten, wie der Benutzer es erwartet. Unsere Green-Leaf-Technologie Abb. 3, bei der mit optischen Hinweisen am Schalter gearbeitet wird, ist ein solches Beispiel. Der Raumnutzer erkennt auf einen Blick, wenn das Bildsymbol des Blatts rot ist. Mit einem einfachen Druck auf den Schalter kann er das Raumklima in den energieeffizienten Modus zurückstellen – das Blatt wird grün. Diese einfache Bedienung erfordert im Hintergrund sehr viel Intelligenz.

Schmid: Vielen Dank für dieses Gespräch.

Weitere Fachartikel zum ­Thema enthalten die TGAdossiers ­Gebäudeautomation sowie Smart ­Metering und Smart Grid: Webcode 740 bzw. 977

Vita

Johannes Milde, Jahrgang 1952, ist promovierter Informatiker und trat 1985 in die damalige Brown Boveri & Cie (BBC) in Dättwil (Schweiz) ein. Ab 1987 bekleidete er verschiedene leitende Funktionen bei ABB und wechselte 1990 zu Landis & Gyr, wo er der Leiter des Geschäfts mit Elektrizitätszählern wurde. Nach der Übernahme durch Siemens leitete er bis 1999 die Integration der beiden Zählergeschäfte. Nach einem Wechsel in den Vorstand der Zumtobel AG, stieß er 2004 als Leiter des Geschäftes Produkte und Systemkomponenten zu Siemens Building Technologies. Ab 2005 war er Mitglied des Bereichsvorstandes und wurde 2008 zum CEO ernannt.

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