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VDI 4706 (Entwurf)

Noch keine VDI-Lüftungsregel

Mit der Einführung von DIN EN 13779 fehlen für die Auslegung von RLT-Anlagen unter Beachtung der Thermischen Behaglichkeit klare und eindeutige Regeln, wie sie in der abgelösten DIN 1946 Teil 2 für Planer nachvollziehbar und planerisch umsetzbar gegeben waren. Das Vorhaben, diese Lücke durch VDI 4706 (aktuell im Entwurf veröffentlicht) [1] zu schließen, ist lobenswert. Aus planerischer Sicht sind in der VDI-Richtlinie jedoch nur wenige handhabbare und nachvollziehbare ­Regeln erkennbar. Es ergeben sich zudem Widersprüche, z.B. bei der operativen Temperatur.

Zur Bewertung des Raumklimas setzt sich ­immer mehr die operative Temperatur θo durch (vgl.: DIN EN 12831, DIN EN 15251 [2]), die allgemein durch folgende Gleichung beschrieben wird.


θa Raumlufttemperatur in °C

θr mittlere Strahlungstemperatur der Raumumschließungsflächen in °C

n Faktor (Funktion der Luftgeschwindigkeit)

n = 0,5, wenn wL < 0,2 m/s;

n = 0,6, wenn 0,2 m/s> wL < 0,6 m/s;

n = 0,7, wenn wL> 0,6 m/s

In [1] wird der Zusammenhang zwischen der operativen Temperatur und dem Stundenmittelwert der Tageshöchsttemperatur (Bild 1) dargestellt. Außerdem bezieht sich [1] auf die DIN EN 15 251. Dort ist im informativen Anhang A der Zusammenhang zwischen der operativen Temperatur und dem gleitenden Mittelwert der Außenlufttemperatur θrm dargestellt (Bild 2). Für die Kategorie II, auf die auch in [1] Bezug genommen wird, ergibt sich der Grenzwert für die maximale bzw. minimale Innentemperatur θi zu


bzw.

Für die Kategorie I ist der dritte Summand mit ±2 K und für die Kategorie III mit ±4 K anzusetzen. Der gleitende Mittelwert θrm in [2] ist wie folgt definiert (vereinfachte Darstellung):


θe,d-1 Tagesmittelwert der Außenlufttemperatur für den vorherigen Tag in °C

θrm-1 gleitender Mittelwert der Temperatur für den vorherigen Tag in °C

a Konstante zwischen 0 und 1, empfohlen: 0,8

Da in der Planung grundsätzlich die einzuhaltenden Parameter vertraglich zu vereinbaren sind, ergibt sich zwischen VDI 4706 und DIN EN 15251 hinsichtlich der unter Umständen zu gewährleis­tenden operativen Temperatur ein Widerspruch. Der in Bild 1 dargestellte Zusammenhang gilt für die Kategorie II. Bezug nehmend auf die Daten der DIN 4710 [3] würden sich die operativen Temperaturen nach [1] (Tabelle 1) und nach [2] (Tabelle 2) ergeben.

Die Unterschiede sind offenkundig, auch wenn die in Tabelle 2 genannten Werte als zulässige ­Innentemperaturen für den Entwurf von Gebäuden ohne maschinelle Kühlanlagen gedacht sind. Diese Werte sollten für die Dimensionierung von passiven Maßnahmen des Überhitzungsschutzes im Sommer (z.B. Dimensionierung und Ausrichtung von Fenstern, Dimensionierung des Sonnenschutzes, thermische Speicherkapazität der Baukonstruktion) genutzt werden. Können diese Werte nicht erreicht werden, sollten die Auslegungs­kriterien mit maschineller Kühlung angewendet werden. Unter maschineller Kühlung wird defini­tionsgemäß nach [2] verstanden „Kühlung eines Raumes oder eines Gebäudes mit maschinellen Hilfsmitteln zur Kühlung der Zuluft durch z.B. ­Ventilatorkonvektoren, gekühlte Oberflächen usw.; (Anmerkung: Das Öffnen der Fenster am Tag und in der Nacht gilt nicht als maschinelle Kühlung, ­jedoch jede maschinell unterstützte Lüftung)“.

Weiterhin wird in VDI 4706 ausgeführt, dass für die operative Temperatur der Bezugspunkt der thermische Raummittelpunkt ist. Dieser soll sich in 0,60 m über OKF auf der Raummittelachse befinden. Dazu ist in VDI 4706 definiert, dass diese senkrecht durch den Schwerpunkt der Boden­fläche der Aufenthaltszone gehen soll. Weiterhin wird ausgeführt „Falls aufgrund besonderer Verhältnisse die berechnete Raummittelachse nicht repräsentativ ist, so ist die Lage der Achse mit dem Bauherrn festzulegen.“ Kritikwürdig ist:

  • Wo ist diese Höhe festgelegt bzw. als sinnvoll wissenschaftlich nachgewiesen worden? Bisher galten sinnvollerweise die Höhen 0,1 m (Knöchel), 1,1 m (Kopf im Sitzen) und 1,7 m (Kopf im Stehen) über OKF als Referenz.
  • Wie ist der Berechnungsmodus für den Raummittelpunkt bei Flächen, die keine einfache geometrische Form haben?
  • Welcher Bauherr ist fachlich in der Lage, andere Messpunkten zu werten und den Vorschlägen zuzustimmen?

In Abschnitt 4.1.2 von VDI 4706 wird bei Abweichungen der operativen Solltemperaturen auf das dynamische Berechnungsverfahren nach VDI 6022 hingewiesen, wobei für die Basis die Test­referenzjahre anzusetzen und die Extremdaten im Sommer und Winter extra zu berücksichtigen sind. Diese Daten sind nur kostenpflichtig vom Deutschen Wetterdienst erhältlich; DIN 4710 weist nur mittlere stündliche und tägliche Lufttemperaturen für ausgewählte Orte aus, die es u.a. nicht ermöglichen, entsprechend DIN EN 15251 den gleitenden Mittelwert der Außenlufttemperatur θrm zu ermitteln. Inwieweit DIN 4710 Teil 3 (zurzeit Entwurf von August 2009) [4] entsprechende Daten liefern kann, die auch den Algorithmen nach [2] genügen, kann gegenwärtig nicht beantwortet werden.

Aussagen zur Luftqualität

Ein weiterer Kritikpunkt sind die Aussagen zur Luftqualität. DIN EN 15251 gibt im informativen Anhang C eindeutige Werte von Schadstoffen an, nach denen ein Gebäude als „schadstoffarm“ und „sehr schadstoffarm“ einzustufen ist. Die Aus­führungen in VDI 4706 sind für den Planer kaum eindeutig fassbar, zumal die Zuordnung einerseits mit dem Auftraggeber (Bauherr) zu vereinbaren ist und andererseits einen maßgeblichen Einfluss auf den erforderlichen Außenluftvolumenstrom und somit auf die Anlagengröße, die Investitionskosten und die Betriebskosten (insbesondere der Elektroenergieverbrauch der Ventilatoren) bzw. den zu gewährleistenden SFP-Wert haben wird.

In VDI 4706 wäre zumindest ein Auszug aus Tabelle B2 [2] für die Kategorie II für die empfohlenen Außenluftvolumenströme (in [2] auch als „Lüftungsraten“ bezeichnet) zweckmäßig (Tabelle 3). Der Außenluftvolumenstrom ergibt sich nach [2] zu (Formelzeichen in Anlehnung nach DIN EN 13779 spezifiziert):


qv,ODA,tot „Gesamtlüftungsrate“ des Raumes in l/s

np Auslegungswert für die Anzahl der Personen im Raum

qv.ODA,P „Lüftungsrate“ für die Belegung bzw. ­Nutzung je Person in l/(s Person)

A Grundfläche des Raumes in m2

qv.ODA,B die auf die Gebäudeemissionen bezogene „Lüftungsrate“ in l/(s m2)

Bereits diese beiden Beispiele zeigen, dass der mit dem Untertitel „VDI-Lüftungsregeln“ erstellte Entwurf von VDI 4706 einer grundlegenden Überarbeitung bedarf, um eine für die Planung praktikable und anwenderfreundliche Richtlinie zu dokumentieren. Es ist zu empfehlen, von dem ­Einspruchsrecht bis zum 31. Januar 2010 regen Gebrauch zu machen.

Literatur

[1] VDI 4706 Blatt 1 (Entwurf) Kriterien für das Innenraumklima (VDI-Lüftungsregeln). Berlin: Beuth Verlag, August 2009

[2] DIN EN 15251: Eingangsparameter für das Raumklima zur Auslegung und Bewertung der Energieeffizienz von Gebäuden – Raumluftqualität, Temperatur, Licht und Akustik, Berlin: Beuth Verlag, August 2007

[3] DIN 4710: Statistiken meteorologischer Daten zur Berechnung des Energiebedarfs von heiz- und raumlufttechnischen Anlagen in Deutschland. Berlin: Beuth Verlag Januar 2003

[4] DIN 4710 Blatt 3 (Entwurf): Meteorologische Grundlagen für die technische Gebäudeausrüstung – t,x-Relationen der Jahre 1991 bis 2005 für 15 Klimazonen in Deutschland Bl. 3

Achim Trogisch

Prof. Dr.-Ing., lehrt an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Dresden (FH) im Fachbereich Maschinenbau/Verfahrenstechnik auf dem Gebiet TGA. Telefon (03 51) 4 62 27 89 E-Mail: trogisch@mw.htw-dresden.de http://www.htw-dresden.de/mb

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