Springe auf Hauptinhalt Springe auf Hauptmenü Springe auf SiteSearch
Neue DIN EN 50 600 für Rechenzentren

Investoren suchen innovative Planer

Kompakt informieren

  • Neue Anwendungen, wie Industrie 4.0 und das Internet der Dinge, werden die Nachfrage nach Rechenzentren bzw. deren Dienstleistungen deutlich erhöhen.
  • Gleichzeitig steigt die Nachfrage nach besonders energieeffizienten Lösungen zur Kühlung der Rechenzentren und nach innovativen Planern.
  • Mit DIN EN 50 600 existiert neuerdings ein koordinierter Projektleitfaden für die Konzeption, die Einrichtung und den Betrieb von Rechenzentren.

„Ich habe lange gesucht, aber leider keinen Planer mit Visionen für unser neues Rechenzentrum gefunden. Am Ende habe ich es selbst in die Hand genommen!“ Wer den dynamischen und zupackend auftretenden Unternehmer reden hört, ist erst erstaunt, dann aber beeindruckt. Denn Peter Hartl ist ein Selfmademan der ersten Stunde.

Der Geschäftsführer der Hartl Group hat sein Unternehmen 1992 im niederbayrischen Hofkirchen gegründet und seitdem zu einem führenden Dienstleister für Fullservice-IT-Dienstleistungen vor allem für den Mittelstand aufgebaut. Das kürzlich eröffnete neue Rechenzentrum mit 2000 m2 Fläche ist Datenschutz-konform, redundant aufgebaut und zertifiziert, wobei die neue DIN EN 50 600 (siehe unten) eine maßgebliche Rolle spielte.

Gewiss hätte Hartl die Planungsleistung seines Rechenzentrums besser einem Fachplaner übergeben. Und so räumte er während seines Vortrags beim Datacenter Symposium Mitte Oktober 2016 in München auch ein, ordentlich Lehrgeld bezahlt zu haben. Dennoch, seiner Auskunft nach fanden sich bei allen Anläufen keine Lösungen, die den üblichen Standard durchbrachen und vor allem die Effizienz seines neuen Gebäudes aus Sicht der Klimatisierung im Fokus hatten. Seine Schlussfolgerung: Aus Angst vor einem Haftungsrisiko.

Jürgen Strate, der bei der IBM Deutschland GmbH das Geschäftsfeld Strategic Business Development verantwortet, stützte in München diese Vermutung. Denn wer ein Rechenzentrum betreibt, braucht vor allem eine hohe Verfügbarkeit und gleichermaßen Sicherheit. Beides sind existentielle und auch wettbewerbsentscheidende Faktoren, um Kunden zu überzeugen. Und wer die Planungsleistung für ein neues Rechenzentrum erbringt, haftet im Rahmen seines Werkvertrags. Darum vermeiden seiner Erfahrung nach viele Vertreter der planenden Zunft derzeit jedes Risiko, was allerdings auf Kosten neuer, energiesparender Lösungsansätze geht.

Neue EU-Norm bringt Klarheit

Beim Bau eines Rechenzentrums ist eine ganze Reihe von Arbeiten zu koordinieren. Wenn ein Standort gefunden ist, geht es um die Gebäudekonstruktion, die Stromversorgung, um die Umgebungsbedingungen, die Telekommunikationsverkabelung und um Sicherungssysteme. Zwar existieren zahlreiche Standards, Planungsleitfäden, Normen oder Richtlinien der verschiedenen Segmente – bislang war das alles aus Sicht eines Bauherrn aber Stückwerk.

Für mehr Klarheit für Planer, Betreiber und Rechenzentrumskunden sorgt jetzt die Norm DIN EN 50 600 „Informationstechnik – Einrichtungen und Infrastrukturen von Rechenzentren“ mit diversen Teilen. Es handelt sich dabei um ein Regelwerk, das in der Ausgestaltung und Klassifizierung verschiedene Wege offen lässt. Denn nicht jeder Kunde benötigt teure Hochsicherheitsstandards für seine physikalisch fremd abgelegten Daten, wie im Falle von Banken, Krankenhäusern, Behörden oder anderen Einrichtungen, die höchste Vertraulichkeit erwarten lassen. Sehr oft genügen einfachere, günstigere Lösungen.

Eine Kenngröße für die Verfügbarkeit und damit auch für Sicherheit bietet die sogenannte Tier1)-Klassifizierung. Angefangen vom niedrigsten Standard 1 ist diese in vier Klassen unterteilt. Tier 4 bedeutet in der höchsten Endausbaustufe also komplette Redundanz aller Systeme mit doppelten Versorgungswegen. Bei einer durchschnittlichen jährlichen Ausfallzeit von 0,8 h wird eine Verfügbarkeit von 99,991 % erreicht. Das hat seinen Preis. So liegen Anhaltswerte für die Investitionskosten eines Rechenzentrums im Bereich 1000 bis 3000 m3 und einer Wärmelast von 2 kW/m2 bei2):

  • 8000 Euro/m<sup>2</sup> für Tier 1
  • 12 000 Euro/m<sup>2</sup> für Tier 2
  • 16 000 Euro/m<sup>2</sup> für Tier 3
  • 22 000 Euro/m<sup>2</sup> für Tier 4

Mit DIN EN 50 600 wurden jetzt unterschiedlichste Anforderungen an ein Rechenzentrum aufeinander abgestimmt und koordiniert – und zwar innerhalb des europäischen Wirtschaftsraums. Die Norm ist also ein Projektleitfaden für die Konzeption, die Einrichtung und den Betrieb von Rechenzentren. Außerdem besteht für Betreiber die Möglichkeit, auf Grundlage von EN 50 600 eine Zertifizierung des Rechenzentrums durchführen zu lassen. Angebote dafür liefern Dienstleister, beispielsweise TÜV Süd und die DCE academy in Taufkirchen. Meist können sich bei diesen Anbietern auch Fachplaner zur neuen Norm schulen lassen.

Hat sich die Zertifizierung erst einmal herumgesprochen, wird für potenzielle Kunden von Rechenzentrumsbetreibern dieses Zertifikat zu einem maßgeblichen Entscheidungskriterium werden – für oder gegen eine Zusammenarbeit. Aus diesem Grund müssen sich auch Fachplaner damit beschäftigen, wenn sie in diesem Wachstumsmarkt am Ball bleiben wollen. Denn wenn Rechenzentren am Ende „freiwillig“ zertifiziert werden müssen, dann sollte man doch besser gleich vom ersten Tag an danach handeln, die Geschäftsrisikoanalyse danach ausrichten und im Idealfall danach leben.

Gegliedert ist DIN EN 50 600 in mehrere Teile bzw. Abschnitte. Für die Gebäudeinfrastruktur zeichnet Teil 2–3. Es geht darin um Empfehlungen für die Temperaturregelung, für Kühlmöglichkeiten mittels Kühlflüssigkeiten und um die Luftfeuchte. Verteilungsmethoden für temperaturgeregelte Luft im Rechenraumbereich werden ebenfalls beschrieben.

Gefahr für das Weltklima?

Welchen Anteil Rechenzentren bei den globalen CO2-Emissionen und damit am Klimawandel haben, machte Dr. Reinhard Ploss, Vorsitzender des Vorstands der Infineon Technologies AG, seinen Aktionären eindrucksvoll mit zwei simplen Beispielen deutlich3): „Alle Rechenzentren weltweit verbrauchen so viel Strom wie das gesamte Land Spanien. Und noch ein Vergleich: Der CO2-Ausstoß aller Server-Farmen ist höher, als der aller weltweiten Fluggesellschaften.“ Das war bereits im Jahr 2013. Wo stehen wir wohl heute?

Der Strombedarf für die Rechenzentrumskühlung spielt bei solchen Daten eine maßgebliche Rolle. Die Meinungen und Erfahrungen von Experten gehen für den Bestand allerdings weit auseinander und liegen zwischen 20 und 50 % Anteil am Gesamtstromverbrauch. Denn dieser ist abhängig vom Standort, von der eingesetzten Kälte-technik, den Kühltemperaturen und ob und in welchem Maße stromarme Kühlprozesse genutzt werden. Auf jeden Fall lohnt es sich für einen Betreiber, etwas mehr in die Planung zu investieren, um bei der Kühlung und Klimatisierung alle Register zu ziehen. Das spart am Ende bares Geld.

Welcher PUE ist möglich?

Eine wichtige Kenngröße für den gesamten Energiebedarf der Infrastruktur eines Rechenzentrums ist die Power Usage Effectiveness (PUE). Im Idealfall liegt diese bei einem Wert von 1. Das würde bedeuten, dass der Gesamtenergieverbrauch alleine für den Betrieb der IT-Hardware im Rechenzentrum aufgewendet wird. Da aber Infrastruktur, wie Kälte- und Klimatechnik, Notstromversorgungseinrichtungen, Brandschutz- und Sicherheitstechnik, ebenfalls Energie benötigen, liegt dieser Wert heute irgendwo bei 1,3.

Um den PUE-Wert zu beeinflussen, ist die Abfuhr der Wärme aus einem Rechenzentrum ein maßgeblicher Faktor: Jeder Rechenprozess erzeugt zwangsläufig Abwärme aus der elektrischen Energie für Transistoren, Prozessoren oder Grafikkarten. Und je mehr und je schneller Daten verarbeitet werden, umso mehr Wärmeenergie entsteht.

Damit die Funktionstüchtigkeit und die Rechenleistung nicht gemindert werden oder gar versagen, entwickeln die Hardware-Hersteller Bauteile mit einem immer geringeren Energiebedarf. Allerdings werden die Bauteile auch immer leistungsfähiger, sodass immer größere Mengen Abwärme aus Rechenzentren abgeführt werden müssen. Dafür gibt es verschiedene Lösungen, von denen einige anlässlich des Datacenter Symposiums in München und wenige Wochen zuvor während der Fachmesse Chillventa in Nürnberg vorgestellt wurden: Die mechanische Kühlung, die Kälteerzeugung durch Ab- oder Adsorptionsprozesse, die adiaba-tische Kühlung, Kühlung mit Grundwasser oder direkt mit Wasser, die freie Kühlung oder aber auch Kombinationen aus diesen Möglichkeiten.

Jede Technologie hat ihre Vor- und Nachteile, die in einer der nächsten Ausgaben des TGA Fachplaners beschrieben werden. Aus Sicht des Planers macht es großen Sinn, sich damit zu befassen, denn schenkt man verschiedenen Herstellern Glauben, so sind PUE-Werte von 1,1 oder darunter keine Luftschlösser mehr. Auch für den Standort Deutschland.

Ein Beispiel gefällig?

Ein Praxisbeispiel dafür liefert der „Green IT Cube“ in Darmstadt. Das Konzept entwickelte die Trippe und Partner Inge-nieurgesellschaft (T.P.I.) aus Karlsruhe gemeinsam mit dem Frankfurter Rechenzentrumsexperten e3 für das GSI Helmholzzentrum für Schwerionenforschung. T.P.I. hat sich schon vor rund 15 Jahren auf die Planung von Rechenzentren spezialisiert und zog jetzt für das Vorzeige-Rechenzentrum alle Register.

Angefangen von der optimierten Bauweise des Gebäudes, über eine Lösung zum Komplettverzicht auf mechanische Kühlung, bis zu bewusst höher gewählten Zulufttemperaturen. Dazu meinte der technische Geschäftsführer bei T.P.I. Markus Betz in einem Zeitungsinterview: „Computer können an heißen Tagen Temperaturspitzen von bis zu 32 °C sehr gut vertragen. Aber in der Branche muss sich dieses Bewusstsein erst verankern.“

Der Lohn einer durchdachten Planung: Der Betreiber erreicht einen PUE-Wert unter 1,1 und für T.P.I. und seinen Partner gab es die Auszeichnung mit dem „Energy Award 2016“ des Handelsblatts in der Kategorie Industrie für die innovative Kühlung des Green IT Cube. Und außerdem sollen bereits namhafte Rechenzentrumsbetreiber aus dem Silicon Valley auf die Made-in-Germany-Lösung aufmerksam geworden sein.

Das nächste Datacenter Symposium findet am 22. und 23. Februar 2017 in Hanau statt. Weitere Infos: www.datacenter-symposium.de

Fußnoten

1) Die Tier-Klassifizierung steht für Möglichkeiten und Wege bzw. Varianten, in einem Rechenzentrum die wichtigsten Systeme Stromversorgung, Kühlung bzw. Klimatisierung, die Netzanbindung sowie Wartungsmöglichkeiten während des Betriebs sicherzustellen bzw. Fehlertoleranzen zu definieren.

2) Fachbuch „Kühlung von Rechenzentren – Konzepte und Lösungen“; Autor Jürgen Dorenburg, Hoval GmbH, in Zusammenarbeit mit der cciDialog GmbH; 1. Auflage 2014; Seite 10

3) Auszug aus der Aktionärsansprache von Dr. Reinhard Ploss anlässlich der Hauptversammlung der Infineon Technologies AG am 28. Februar 2013 in München.

Dipl.-Ing. Achim Frommann

PR Werkstatt NutzWort, 77880 Sasbach, frommann-achim@t-online.de