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Stephan Bauer über die Steigerung der Energieeffizienz von Gebäuden

“Künftig werden Gebäude ihren Energiebedarf selbst decken“

Schmid: Das Gebäude der Zukunft soll in jeder Hinsicht smart sein. Inzwischen wird der Begriff „smart“ fast schon inflationär verwendet. Wie definieren Sie „smart“ im Zusammenhang mit dem Gebäude der ­Zukunft?

Bauer: Das intelligente, also smarte Gebäude soll nach Zielsetzung von Siemens ein CO2-neutrales Gebäude sein. Um dieses Ziel zu erreichen, bedarf es einerseits intelligenter Steuerungen und Regelungen, um den Energieverbrauch zu minimieren. Andererseits wird das Gebäude der Zukunft einen großen Teil der benötigten Energie selbst erzeugen. Dazu müssen unter anderem Möglichkeiten geschaffen werden, die selbst erzeugte Energie im Gebäude zu speichern. Hierzu gibt es unterschiedliche technische Ansätze, deren Wirtschaftlichkeit aber noch geprüft werden muss. Ein wichtiger Aspekt bei der Beurteilung von Regelungs- und Speicherstrategien im Gebäude der Zukunft ist die Sicherstellung beziehungsweise die Verbesserung des Komforts, trotz fluktuierendem Energieangebot.

Schmid: Intelligente Gebäude existieren bisher weitgehend auf dem Papier. Was wurde bisher erreicht? Wo liegen die Herausforderungen, die Konzepte auch in die Praxis umzusetzen?

Bauer: In der Vergangenheit lag der Fokus der Marktakteure nicht so sehr auf diesem Thema. Dennoch haben wir in den letzten Jahren bei der Konzeption intelligenter Gebäude einiges erreicht. Beflügelt wird dieser Trend durch einen Bewusstseinswandel in der Gesellschaft hin zu nachhaltigen Lösungen. Keine Firma, kein Hersteller, kein Konzern kann sich heute dem Thema entziehen. Diese Veränderung ist eine grundlegende Voraussetzung zur Umsetzung von nachhaltigen Planungsansätzen. Immerhin haben Gebäude am gesamten Energieverbrauch einen Anteil von 40 %. Beim Gebäude­ der Zukunft geht es nicht allein um Energie, sondern auch um Wasser und Rohstoffe für die ­Errichtung. Es reicht allerdings nicht aus, die Prinzipien der Nachhaltigkeit nur bei Neubauten umzusetzen. Die eigentliche Herausforderung einer nachhaltigen Entwicklung ist die energe­tische Sanierung des Gebäudebestands.

Schmid: Nun gibt es bereits eine ganze Reihe an Gesetzen, Normen, Verordnungen und Richtlinien zur Umsetzung von energieeffizienten Gebäuden. In der Gebäudeautomationsbranche sorgt die DIN EN 15232 mit ihren vier Effizienzklassen für Transparenz. Reichen die aktuellen verordnungspolitischen Rahmenbedingungen aus, intelligente Gebäude zu bauen?

Bauer: Gesetze sind gute Katalysatoren, um Themen voranzubringen. Wenn aber bei Investoren, Bauherren, Planern, ausführenden Gewerken und letztendlich bei der Gesellschaft das Bewusstsein für eine nachhaltige Gebäudeentwicklung fehlt, dann nützen auch Gesetze und Verordnungen nichts. Im Grunde genommen brauchen wir eine Kombination aus ziel­orientierter Gesetzgebung und der Bereitschaft zum nachhaltigen Handeln. Wir müssen uns immer wieder vergegenwärtigen, dass die Investitionskosten – bezogen auf den Lebenszyklus eines Gebäudes – nur 20 % betragen. Diese 20 % beeinflussen jedoch die gesamten Lebenszy­kluskosten eines Gebäudes, denn 80 % aller Kosten sind Betriebs- und Instandhaltungskosten. Wir brauchen also eine gesunde Balance zwischen den gesetzgeberischen Vorgaben und einem von Nachhaltigkeit geprägten Bewusstsein bei Entscheidern und Nutzern.

Schmid: Bislang ignoriert die Mehrzahl der Investoren das Prinzip der nachhaltigen Gebäudeplanung, da für die Betriebskosten weitgehend die Mieter aufkommen. Wie könnte man dieses Investor-Nutzer-Dilemma auflösen?

Bauer: Dieses Dilemma gibt es tatsächlich. Für Investoren spielt heute die Lage ihrer Immobilie bei der Wertschöpfung immer noch die ausschlaggebende Rolle. Wir müssen die Investoren überzeugen, dass energieeffiziente, nachhaltige Gebäude einen hohen Komfortstandard und damit einen höheren Wert haben, der auch eine höhere Miete gerechtfertigt. Leider fehlen uns noch die Instrumente, den Mehrwert von intelligenten, also nachhaltigen Gebäuden für die Investoren im Detail nachzuweisen. Da bedarf es noch einiges an Aufklärung und Fakten, inwieweit grüne Gebäude zu einer höheren Rendite führen.

Schmid: So manches Gebäude mit dem Etikett intelligent, smart, nachhaltig oder grün entwickelt sich im Laufe der Jahre zur sanierungsbedürftigen Energieschleuder. Untersuchungen finnischer Wissenschaftler belegen, dass ein miserabel bewirtschaftetes Gebäude bis zu fünfmal mehr an Energie verbraucht als vorausberechnet.

Bauer: Der Wert eines Gebäudes steigt und fällt mit der Qualität des Betriebs. Wenn man ein Hocheffizienzgebäude mehrere Jahre nicht professionell betreibt, dann laufen die Energieverbräuche aus dem Ruder, das heißt, der Wert eines Gebäudes nimmt ab. Bei dem hohen Primärenergieverbrauch von Gebäuden ist es sicher angebracht, über eine Art Gebäude-TÜV nachzudenken. Nur so kann der anfänglich hohe Effizienzstandard erhalten bleiben.

Das beste Beispiel für das enorme Einsparpotenzial im Gebäudebestand ist der große Erfolg des Modernisierungskonzepts Energiespar-Contracting. Hier werden Energieeinsparungen über die Laufzeit des Vertrags garantiert und die Investitionen in Energiesparmaßnahmen und einen effizienten Gebäudebetrieb aus den Energiekosteneinsparungen refinanziert. Eine andere Möglichkeit der Effizienzstabilisierung bei Gebäuden ist unser Konzept Energy Monitoring & Controlling. Dabei übernimmt Siemens im Auftrag des Betreibers die Überwachung vorgegebener Verbrauchswerte von Anlagen und großen Energieverbrauchern. Hier ist der Nachweis der Wirtschaftlichkeit vergleichsweise einfach zu erbringen, die Einsparungen sind genau dokumentiert. Ich kenne Anlagen, wo wir einen Return on Investment in weniger als zwei Jahren erreichen. Solche Modelle stoßen natürlich speziell in der Industrie auf Interesse.

Wichtig ist, dass Abweichungen von der idealen Performance eines Gebäudes, einer Anlage oder eines Energiegroßverbrauchers zeitnah entdeckt werden und nicht erst am Jahresende, wenn die Zähler abgelesen werden. Die Visualisierung von Verbrauchern in Form von Kurven oder anderen grafischen Darstellungen spielt dabei in Zukunft eine große Rolle.

Schmid: Früher hieß es, der Heizkessel, die Lüftungsanlage oder der Kälteerzeuger arbeiten unwirtschaftlich. Heute werden hauptsächlich der Raum und damit der individuelle Nutzer für den Energieverbrauch eines Gebäudes verantwortlich gemacht. Liegt der Schlüssel zur Energieeinsparung tatsächlich bei der Raumautomation?

Bauer: Um Energie im großen Stil einzusparen, müssen wir für mehr Transparenz beim Energieverbrauch sorgen, und dabei spielen der Raum und das Nutzerverhalten die ausschlaggebende Rolle. Deshalb ist es sinnvoll, die Raumfunktionen stärker zu automatisieren und energieeffizientes Verhalten nahe am Nutzer anzuzeigen. Siemens hat dazu die Green-Leaf-Anzeige entwickelt, mit einem roten Blatt für ineffizienten Betrieb und einem grünen Blatt für optimale Raumeinstellungen. Speziell in großen Gebäuden können durch mehr Transparenz des Nutzerverhaltens erhebliche Mengen an Energie eingespart werden. Zum Beispiel durch die Darstellung der aktuellen und historischen Gebäudeenergieverbräuche auf einem Energiemonitor an häufig frequentierten Stellen wie Aufzug, Foy­er oder Kantine. Entscheidend für mehr Energiebewusstsein des Nutzers ist die unmittelbare Information über den Effizienzstatus eines Raums. Für wichtig halte ich, dass jeder Nutzer seine aus dem Ruder gelaufenen Raumfunktionen mit einem Tastendruck auf Effizienz zurückstellen kann. Je einfacher so eine Anzeige und die Reset-Funktion arbeiten, desto eher werden sie akzeptiert und damit auch genutzt.

Schmid: So eine Statusanzeige ist sicherlich sinnvoll. Sie kann jedoch Planungsdefizite nur zum Teil ausgleichen. Was bietet die Siemens-Division Building Technologies an, um bereits bei der Planung die Weichen für hocheffiziente gebäudetechnische Anlagen zu stellen?

Bauer: Wir haben die Vorgehensweise der TGA-Fachplaner genau analysiert und eine spezielle Analyse- und Planungssoftware für die technische Gebäudeausrüstung entwickelt. Das beginnt damit, dass die Himmelsrichtung, die ­voraussichtlichen Dämmwerte der Außenhülle, der Fenster- bzw. Fassadenanteil, die Anzahl der Stockwerke und weitere energetisch wichtige Details von Anfang an in den Planungsprozess einbezogen werden. Unsere Software Energy Performance Classification (EPC) mit den dazugehörenden Tools sowie das Programm für funktionale Ausschreibungstexte (Specification Text Selection Tool, STST) versetzt den Planer in die Lage, die Energieeffizienz eines Gebäudes nach DIN EN 15232 gezielt zu planen und funktional neutral auszuschreiben.

Außerdem kann er damit die voraussicht­liche CO2-Reduktion bilanzieren und die Amortisationszeit der gewählten Effizienzklasse berechnen. Uns geht es darum, die hohe Wirtschaftlichkeit einer innovativen Raum- und Gebäudeautomation schon im Planungsstadium nachzuweisen, denn eine Investition in die Gebäudeautomation amortisiert sich schneller als die in eine überdimensionierte Wärmedämmung. Im Zuge der Nachhaltigkeit müssen wir künftig auch die Entsorgung der Materialien am Ende deren Lebenszyklus bei unseren Entscheidungen mit berücksichtigen. Dabei ist die Entsorgung von Mischwerkstoffen aus Dämm- und Baumaterialien – da Sondermüll – sehr viel aufwendiger als die von Elektronikbauteilen, die sich heute vergleichsweise einfach in Wertstoffe sortieren lassen.

Schmid: Funktionieren diese Planungstools auch bei bestehenden Gebäuden?

Bauer: Sicher! Gerade im Gebäudebestand zeigen sich die Effizienz- und Wirtschaftlichkeitsvorteile von Raum- und Gebäudeautomationssystemen, da oft auf eine nachträgliche Dämmung verzichtet werden kann, um die vom Gesetzgeber vorgegebene Gebäudeeffizienzstandards von Altgebäuden zu erreichen. Außerdem bekommt der Planer über die Eingabe des Baujahres und des Gebäudetyps Angaben über die energetische Qualität des Gebäudes. Die energetische Bewertung lässt sich mit unserem Tool enorm verkürzen.

Schmid: Welche Rolle spielt in diesem Kontext der Architekt? Muss er sich künftig den energetischen Zwängen unterordnen?

Bauer: Ich gehe davon aus, dass der Architekt künftig den künstlerischen Entwurf eines Gebäudes mit den energetischen Anforderungen der Fachplaner zusammenbringen muss. Nur wenn sich die beteiligten Planer und die ausführenden Anlagenbauer zusammenschließen, ist ein Optimum an Gebäudeenergieeffizienz möglich. Leider haben wir in der Vergangenheit zu sehr in Hierarchien und Gewerken agiert. Die Herausforderung der Zukunft liegt darin, die unterschiedlichen Gewerke zusammenzubringen, um daraus einen gesamtheitlichen Lösungs­ansatz für das Gebäude zu erstellen.

Schmid: Wo setzt die künftige Siemens-Strategie an, um die Energieeffizienz eines Gebäudes während des Betriebs weiter zu verbessern, und welche Lösungen bieten Sie für Altbauten an?

Bauer: Im Gebäudebestand sehe ich in erster Linie das Energiespar-Contracting sowie die Dienstleistung Energy Monitoring & Controlling; damit kann die Gebäudeenergieeffizienz ohne eigenes Investment verbessert werden. Generell verlagert sich die Regelintelligenz in Gebäuden von den Primäranlagen, also vom Wärmeerzeuger, von der RLT-Anlage und vom Kälteerzeuger, zur Raumregelung. Das heißt, Raumklima, Beleuchtung und Beschattung bilden zukünftig ­einen übergeordneten Regelkreis.

Dazu stellt sich die Frage, wird ein Raum, eine Etage, ein Gebäudeteil überhaupt genutzt? Braucht das Gebäude überhaupt Wärme, Luft und Kälte in der angebotenen Menge? Das Regelkonzept der Zukunft heißt Bedarfsführung anstatt Angebot. Hinzu kommt die Erfassung von Raumlasten über CO2- oder Mischgasfühler, um nur so viel Luft aufzubereiten und zu transportieren, wie tatsächlich gebraucht wird. Unser Ziel ist, den Mitarbeiter bereits am Eingang zum Gebäude über seine Zugangskarte zu erkennen, dann die Primäranlagen bedarfsabhängig hochzufahren und erst dann die Komfortfunktionen seines Büros freizuschalten.

Schmid: Welche Rolle werden in Zukunft Smart-Grid-Funktionen einnehmen? Immerhin sind die Energieversorger seit Januar 2011 verpflichtet, zeit- oder lastvariable Tarife anzubieten.

Bauer: Es ist sicher noch eine große Herausforderung, Smart-Grid-Funktionen ganzheitlich umzusetzen. Bevor wir mit diesen Funk­tionen an die Gebäude gehen, müssen zunächst die Stromübertragungswege ausgebaut und in Smart-Grid-Funktionen eingebunden werden. Wir sollten jedoch nicht auf die Aufrüstung der Netze warten, sondern dazu übergehen, wo immer möglich, Energie im Gebäude verbrauchsnah zu erzeugen. Dazu brauchen wir intelligente Leitsysteme, um Energieerzeugung, Energieverbrauch und – ganz wichtig – Energiespeicher in ein gesamtheitliches Konzept einzubinden. Ein solcher Mikro-Grid kann dann, wenn die Energieversorger mit ihrem Smart-Grid-Angebot so weit sind, mithilfe von last- und zeitvariablen Tarifen weiter optimiert werden.

Schmid: Durch die Abschaltung von Kernkraftwerken wird die Diskussion angefacht, ob wir künftig genügend Strom haben. Lassen sich mögliche Versorgungsdefizite durch Energieeffizienzverbesserungen bei Gebäuden kompensieren?

Bauer: Die etwa 7 % geringere Erzeugerleistung durch das Abschalten von sieben Kernkraft­werken in Deutschland lässt sich mit relativ ­einfachen Mitteln durch Effizienzmaßnahmen und intelligente Steuerungen im Gebäude kompensieren. Allein durch eine Art zweite Inbetriebnahme von bestehenden Anlagen lassen sich rund 10 % Energie einsparen. Da wir von weiter steigenden Energiepreisen ausgehen müssen, amortisieren sich Maßnahmen in die Gebäudeenergieeffizienz umso schneller. Wichtig ist, dass man in eine Technologie investiert, die migrationsfähig ist und die es auch noch in zehn Jahren und länger geben wird. Nur so ist die ­Investition nachhaltig.

Schmid: Kommen wir mit Gebäudezertifizierungsprogrammen schneller ans Ziel?

Bauer: Die Vielfalt und das Marketing rund um die Green-Building-Zertifikate dürfen nicht dar­über hinwegtäuschen, dass hier weitgehend Neubauten zertifiziert werden. Das große Einsparpotenzial liegt aber im Gebäudebestand. Ich bin davon überzeugt, dass ein regelmäßiger Gebäude-TÜV schneller und nachhaltiger wirkt als einmal ausgestellte Green-Building-Zertifikate.

Schmid: Vielen Dank für das Gespräch. •

Vita

Stephan Bauer, geboren 1961 in Regensburg, ist seit 2008 CEO der Business Unit Control Products & Systems (CPS) der Siemens-Division Building Technologies in Zug, Schweiz. Davor war er seit 2005 Executive Vice President und CEO Diesel Systems bei Siemens VDO Automotive AG und seit 2007 in derselben Funktion bei Continental Automotive GmbH. Stephan ­Bauer hat an der Hochschule für angewandte Wissenschaften in München studiert und ist ­diplomierter Wirtschaftsingenieur.