Das 2021-Ziel aus dem Bundes-Klimaschutzgesetz hat der Gebäudesektor satt verfehlt. Jetzt muss schnell gehandelt werden, sonst kann die Lücke nicht mehr geschlossen werden. Wenn Berlin den Zielpfad ernst nimmt, wird er zum Auftragsgenerator für die TGA/SHK-Branche.
Selbst Optimisten konnten nicht davon ausgehen, dass der Gebäudesektor die vom Bundes-Klimaschutzgesetz (KSG) für das Jahr 2020 vorgegebene zulässige Jahresemissionsmenge von 118 Mio. t CO2-Aquivalent (Mt CO2e) einhalten oder sogar unterschreiten kann.
Mit 120 Mt CO2e wurde sie auf den ersten Blick nur um einen kleinen Betrag verfehlt – der Verfehlung wiegt aber schwer und ist keinesfalls eine Bagatelle oder ein Kavaliersdelikt. Denn die Last bleibt bestehen, für 2021 beträgt die zulässige Jahresemissionsmenge nur von 113 Mt CO2e. Der Gebäudesektor muss – um das Defizit 2021 auszugleichen, die Jahresemissionsmenge um 7 Mt CO2e verringern.
1. KSG-Bilanz: Gebäudesektor verfehlt Bundes-Klimaschutzgesetz
Langfristiger Trend bisher: Eine Minderung um 2,85 Mio. t
In den letzten Jahren hat es schon deutlichere Sprünge gegeben, 2011 und 2014 lag die Minderung jeweils über 20 Mt CO2e, danach gab es aber stets gegenläufige Entwicklungen, z. B. durch unterschiedliche Witterung, durch geändertes Verbraucherhalten aufgrund der Energiepreise, durch den Einsatz von Brennholz über Kaminöfen und unterschiedlicher Lagerstände.
Im langfristigen Trend, der u. a. auch
● Modernisierungstätigkeiten und die Attraktivität von Förderprogrammen,
● Rückbau, Neubau und Neubauanforderungen,
● Veränderungen im Energieträgermix,
● Veränderungen bei Fremdwärme (Glühlampen-Ausstieg),
● demografische Entwicklungen,
● den spezifischen Wohnflächenbedarf sowie
● den Klimawandel und
● die gefühlte Energiepreisentwicklung
abbildet, wurde die Jahresemissionsmenge um durchschnittlich 2,85 Mt CO2e verringert.
Das Bundes-Klimaschutzgesetz sieht bis 2030 im Mittel eine jährliche Minderung um 4,8 Mt CO2e vor. Wobei diese noch nicht die neuen Ziele aus dem Green Deal berücksichtigt. Die lineare Mengenminderung bedeutet, dass sich die prozentuale Minderung von anfänglich 4,2 % auf 6,7 % im Jahr 2030 erhöht.
Was ist in der Jahresemissionsmenge des Gebäudesektors berücksichtig?
Das Treibhausgas-Inventar nach KSG des Gebäudesektors berücksichtigt Gebäude von
● Gewerbe, Handel und Dienstleistung „GHD“ (2019/20: 32,8 bzw. 28,3 Mt CO2e),
● des Militärs(2019/20: 0,9 bzw. 0,8 Mt CO2e) und
● die Haushalte (2019/20: 89,8 bzw. 90,9 Mt CO2e).
Die von 2019 bis 2020 erreichte Minderung ist also im Wesentlichen auf die GHD-Gebäude und damit auf die Maßnahmen zur Eindämmung der Coronavirus-Pandemie und die wirtschaftliche Entwicklung zurückzuführen. Mit einer konjunkturellen Erholung wird das GHD-Treibhaus-Inventar unweigerlich wieder zulegen.
Für alle Sektoren werden die Treibhausgasemissionen nach dem Quellenprinzip erfasst, das berücksichtigt im Gebäudesektor im Wesentlichen die Emissionen aus Verbrennungsprozessen. Den größten Anteil haben Erdgas und Heizöl, einen relativ kleinen Anteil Flüssiggas und Kohlen. Die Treibhausgasemissionen aus Fernwärme und für die Stromerzeugung zum Betrieb elektrischer Heizsysteme werden dem Energiesektor zugeschrieben.
Hebel für die Senkung der Jahresemissionsmenge des Gebäudesektors
Um die Jahresemissionsmenge des Gebäudesektors zu senken, gibt es mehrere Möglichkeiten.
Elektrifizierung: Ein 100-%-Hebel ist die Elektrifizierung der Wärmeerzeugung mit elektrisch angetriebenen Wärmepumpen und direktelektrischen Heizsystemen: Die Treibhausgasemissionen aus einem zuvor genutzten Gas- oder Öl-Heizkessel entfallen, die mit der Stromerzeugung verbundenen Treibhausgasemissionen werden im Energiesektor erfasst. Bei Hybridsystemen verkleinert sich der Hebel.
Energieträger-Wechsel: 100-%-Hebel im Sinne der KSG-Bilanzierung sind zudem der Wechsel fossiler Brennstoffe auf erneuerbare Brennstoffe, sowie die Umstellung auf Fernwärme. Einen Beitrag kann auch der Wechsel auf Energieträger mit geringeren Treibhausgasemissionen leisen, zumal er in der Regel mit dem Einbau effizienterer Technik einhergeht. Ein Wechsel von Heizöl zu Erdgas verringert ohne Effizienzgewinn die verbrennungsbedingten CO2-Emissonen um 24,3 % (Hi). Von Heizöl zu Flüssiggas sind es 10,4 %.
Energieträger-Dekarbonisierung: Die verbreiteten Energieträger werden anteilig oder vollständig durch Substitute, die aus erneuerbaren Energien gewonnen worden sind, ersetzt. Da zumeist auch die Substitute oder Beimischungen Kohlenstoff enthalten (Ausnahme Wasserstoffbeimischung), wird zunehmend der Begriff Defossilisierung benutzt.
Energieeinsparung: Der Energieverbrauch lässt sich durch angepasstes Verbrauchsverhalten, durch die energetische Verbesserung der Interaktion des Gebäudes mit seiner Umgebung, durch die Steigerung der Energieeffizienz der Wärmeerzeugung über Optimierungsmaßnahmen oder die Modernisierung mit technisch verbesserten Geräten und durch Wärmerückgewinnung senken. Ein Hebel ist auch eine Absenkung der beheizten Wohnfläche pro Kopf.
Energieträger-Verdrängung: Die Treibhausgasemissionen des Gebäudesektors werden auch gemindert, wenn beispielsweise Heizöl und Erdgas durch die alternative Wärmeerzeugung mit Holzheizungen, Solarthermie und in Wärme umgewandelten (Eigen)Strom verdrängt werden.
Maßnahmen in erheblichem Umfang sind erforderlich
Um die Dimension der erforderlichen Wärmewende einfach nachvollziehbar zu verdeutlichen, wird nachfolgend angenommen, dass das jährliche Einsparziel von 4,8 Mt CO2e allein von den Haushalten zu leisten ist und der Zubau im Sinne des KSG ohne Treibhausgasemissionen im Neubau erfolgt. Der Wohngebäudebestand werde zudem durch 12 Mio. Einfamilienhäuser repräsentiert, die mit Öl-Heizungen oder Gas-Heizungen (Erdgas) beheizt werden und jeweils verbrennungsbezogene CO2-Emissionen von 7,6 t/a aufweisen.
Um die Minderung von 4,8 Mt CO2e zu erreichen, müssten im ersten Jahr
● 633 000 dieser Einfamilienhäuser elektrifiziert oder auf Fernwärme oder Biomasse-Heizungen umgestellt werden, oder bei
● 2,53 Mio. dieser Einfamilienhäuser Energiesparmaßnahmen realisiert werden, die einen um 25 % geringeren Verbrauch erreichen oder
● in allen dieser 12 Mio. Einfamilienhäuser Einsparungen von 4,2 % erreicht werden oder das von ihnen bezogene Heizöl und Erdgas eine energetische Substitution mit erneuerbaren Energien (Beimischung) von 4,2 % aufweisen.
Das Beispiel zeigt, dass eine Beimischung schon im ersten Jahr an der Verfügbarkeit scheitern und in wenigen Jahren an heutige technische Grenzen stoßen würde. Werden nur die 25-%-Einsparungen realisiert, müssen die Gebäude schon 5 Jahre später erneut einen Beitrag leisten, dann um mit einer Einsparung von 33 %, wenn keine anderen Maßnahmen vorgenommen werden; insgesamt also um 50 %.
Die Umstellung auf eine im Sinne der KSG-Bilanzierung Wärmeerzeugung ohne Treibhausgasemissionen für den Gebäudesektor hingegen ist für das Heizungshandwerk zu stemmen, auch heute gehen Wärmeerzeuger in diesem Umfang in die Heizungsmodernisierung. Die Heizungsindustrie und die Zulieferer müssten ihre Produktionskapazitäten für Wärmepumpen und ihre Komponenten allerdings signifikant erhöhen, 2020 sind in Deutschland 120 000 Wärmepumpen verkauft worden.
Und nun stelle man sich vor, dass nicht 4,8 sondern 7 Mt CO2e zu mindern sind …
Es ist eine Strategie mit klaren Regeln erforderlich
Die vorgenommene Modellierung ist streitbar und die „reinrassige“ Realisierung der erforderlichen Treibhausgasminderung natürlich unrealistisch. Sie zeigt aber, dass die bisherige Vorgehensweise schon mittelfristig nicht mehr mit dem Zielpfad in Einklang zu bringen und eine Strategie erforderlich ist, die auch klare Regeln ausspricht. Mit einem gänzlich offenen Technologiewettbewerb werden Ressourcen und finanzielle Mittel falsch eingesetzt.
Vielmehr führt sie zu einem ähnlichen Ergebnis, wie es Architekten, Bau-Experten und Umweltschützern in einem Aktionsbündnis mit der 1-1-100-100-Formel von der künftigen Bundesregierung fordern. Sonst wird die Lücke sehr schnell so groß, dass sie nicht mehr geschlossen werden kann. Alle neben der „Klimaneutralisierung“ einen jährlich großen Zahl an Gebäuden müssen die parallel stattfindenden Maßnahmen auf dieses Ziel für das einzelne Gebäude als Vorschuss bestmöglich abgestimmt sein. Dafür ist es erforderlich, den individuellen Sanierungsfahrplan massiv in die Breite zu bringen. Das Aktionsbündnis fordert, dass die Bundesregierung 1 Mio. Sanierungsfahrpläne jährlich verschenken soll. ■