Mit den aktuell beschlossenen Klimaschutzmaßnahmen erreicht Deutschland sein selbstgestecktes Klimaziel bis 2030 nicht. Es klafft eine Lücke von 331 Mio. t CO2-Äquivalent.
Der vom Umweltbundesamt (UBA) koordinierte Projektionsbericht 2023 der Bundesregierung analysiert die aktuelle Klimaschutzpolitik. Der Bericht zeigt, dass das Erreichen der nationalen Klimaziele bis 2030 und 2045 ohne zusätzliche Maßnahmen gefährdet ist. Auch wenn die (kumulierte) Gesamtlücke im Vergleich zur vorherigen Projektion um 70 % verringert werden konnte, beträgt sie bis zum Jahr 2030 immer noch 331 Mio. t CO2-Äquivalent (CO2e).
Zur Einordnung: Die zulässige Jahresemissionsmenge im Dekarbonisierungspfad des Bundes-Klimaschutzgesetzes (KSG) für das Jahr 2030 beträgt 438 Mio. CO2e und damit „der Verzug im Jahr 2030“ rund 276 „Budget-Tage“: Teilt man für einen oder mehrere Sektoren das zugehörige maximale Emissionsbudget des KSG für das Jahr 2030 durch 365 Tage, ergibt sich ein KSG-Tagesbudget. Die Budget-Tage erhält man, wenn man die Lücke durch das zugehörige KSG-Tagesbudget teilt. Die Übertragung einer Mengenlücke auf einen Zeitabschnitt soll den Verzug anschaulicher machen. Diese hier gewählte Betrachtung ist nicht Bestandteil des Projektionsberichts.
Die Lücke wird auch durch bereits geplante Maßnahmen nicht vollständig geschlossen. Das Ziel der Netto-Treibhausgasneutralität bis 2045 würde unter den gegebenen Umständen nicht erreicht.
Hinweis: Die Projektionen sollten nicht als Prognose für kommende Jahre missverstanden werden. Für Projektionen werden Modelle eingesetzt, die eine langjährige, plausible Entwicklung der Treibhausgasemissionen unter den Bedingungen und Annahmen zum Start des Modellierungszeitpunkts projizieren. Auftretenden Sondereffekten und unvorhergesehenen, kurzfristigen Ereignissen, beispielsweise die Energiekrise im vergangenen Jahr, sind methodisch nicht oder nur begrenzt integrierbar.
Zwei unterschiedliche Szenarien
Der Projektionsbericht 2023 attestiert eine deutliche Gesamtlücke zur Zielerreichung, obwohl die Klimaziele gemäß Bundes-Klimaschutzgesetz (KSG) im Gegensatz zum Projektionsbericht 2021 näher gerückt sind: Die Lücke von 1100 Mio. t CO2e bis 2030 (917 Budget-Tage) wurde je nach Szenario auf 194 bis 331 Mio. t CO2e gesenkt. Damit sind ca. 70 bis 80 % der Lücke aus dem Jahr 2021 geschlossen.
Im Bericht wird dabei zwischen zwei Szenarien unterschieden:
1. Das Mit-Maßnahmen-Szenario (MMS) berücksichtigt die zum jeweiligen Modellierungsbeginn gültigen Maßnahmen.
2. In das Mit-Weiteren-Maßnahmen-Szenario (MWMS) gehen zusätzlich zu den Maßnahmen des MMS bereits konkret geplante, jedoch noch nicht implementierte Maßnahmen ein. Die zukünftigen Emissionsminderungen dieses Szenarios sind abhängig vom politischen Willen, geplante klimapolitische Maßnahmen umzusetzen.
Lücke bleibt auch im Mit-Weiteren-Maßnahmen-Szenario
In den neuen Projektionen verfehlt das MMS mit 63 % den Zielwert für das Jahr 2030 nur knapp und das MWMS erreicht ihn mit 65 % Minderung gegenüber 1990. Allerdings wird das Ziel in den Jahren davor erheblich überschritten. Dadurch beträgt die Gesamtlücke bis 2030 insgesamt 331 Mio. t CO2e im MMS und 194 Mio. t CO2e im MWMS. Damit ist die bis 2030 entstehende Lücke so groß wie etwa 40 % der nationalen Treibhausgasemissionen im gesamten Jahr 2022. Mit zusätzlichen geplanten Maßnahmen beträgt sie noch über ein Fünftel der Emissionen aus dem Jahr 2022.
Dabei verfehlen im MMS die Sektoren Verkehr (210 Mio. t CO2e bzw. 902 Budget-Tage), Gebäude (96 Mio. CO2e bzw. 532 Budget-Tage) und Industrie (83 Mio. t CO2e bzw. 257 Budget-Tage) ihre Ziele wie bereits in der Vergangenheit. Hier beziehen sich die Budget-Tage nur auf die Sektoren-Budgets im Jahr 2030.
Im MWMS, das geplante Maßnahmen zusätzlich berücksichtigt, verringert der Verkehrssektor seine Lücke kaum (auf 187 Mio. t CO2e bzw. 803 Budget-Tage), der Sektor Gebäude erheblich (auf 34 Mio. CO2e bzw. 185 Budget-Tage) und der Sektor Industrie moderat (auf 51 Mio. t CO2e bzw. 158 Budget-Tage). Hier beziehen sich die Budget-Tage nur auf die Sektoren-Budgets im Jahr 2030.
Wie deutliche Treibhausgasemissionsminderungen zur Zielerreichung aussehen könnten, zeigen verschiedene Studien, wie das Klimaschutzinstrumente-Szenario 2030 (KIS-2030) (UBA 2023), Klimaneutrales Deutschland 2045 (Agora 2022) oder Aufbruch Klimaneutralität (dena 2021). So zeigt die KIS-2030-Studie, dass unter anderem mehr Schienenverkehr, eine Reform der Kfz-Steuer sowie die Beschränkung fossiler Heizungen nötig wären, um die Lücke bis 2030 zu schließen.
Die Sektoren Energiewirtschaft, Landwirtschaft und Abfallwirtschaft übererfüllen ihre Ziele und kompensieren damit teilweise die Zielverfehlungen der anderen Sektoren. Die Übererfüllung der Sektorziele bis 2030 beträgt in der Energiewirtschaft 38 Mio. t CO2e (MMS; − 128 Budget-Tage) und 37 Mio. t CO2e (MWMS; − 125 Budget-Tage), in der Landwirtschaft 20 Mio. t CO2e (MMS; − 130 Budget-Tage) und 40 Mio. t CO2e (MWMS; − 261 Budget-Tage) und in der Abfallwirtschaft jeweils 6,4 Mio. CO2e mit MMS und MWMS (− 584 Budget-Tage). Hier beziehen sich die Budget-Tage nur auf die Sektoren-Budgets im Jahr 2030.
Die für den Sektor Landnutzung, Landnutzungsänderung und Forstwirtschaft (LULUCF) festgelegten Zielwerte für 2030 von − 25 Mio. CO2e, für 2040 von − 35 Mio. t CO2e und für 2045 von − 40 Mio. t CO2e werden in beiden Szenarien nicht erreicht. Während der Zielwert für 2030 im MWMS ab 2035 und damit fünf Jahre später erreicht wird, werden die Ziele für 2040 und 2045 um 10 bis 20 Mio. t CO2e/a verfehlt.
Netto-Treibhausgasneutralität für 2045 wird klar verfehlt
Auch die deutschen Klimaziele auf europäischer Ebene werden laut Projektionsbericht verfehlt. Die Treibhausgasemissionen, die unter die europäische Lastenteilungsverordnung (ESR) fallen, summieren sich im relevanten Zeitraum von 2021 bis 2030 auf eine Gesamtlücke von 299 Mio. t CO2e im MMS und auf 152 Mio. t CO2e im MWMS.
Die Lücken gegenüber der ESR sind ähnlich groß wie die Zielverfehlung in den Sektoren gemäß KSG. Die ESR-Emissionen sinken bis 2030 um knapp 35 % gegenüber 2005. Alle anderen Emissionen fallen unter den europäischen Emissionshandel. Sie sinken im selben Zeitraum um gut 71 %.
Das Klimaziel Netto-Treibhausgasneutralität für das Jahr 2045 wird in beiden Szenarien mit 82 bzw. 86 % Minderung gegenüber 1990 klar verfehlt. Damit würde Deutschland nach jetzigem Stand im Zieljahr 2045 der Treibhausgasneutralität noch 229 Mio. t CO2e an Treibhausgasen ausstoßen. ■
Quelle: Projektionsbericht 2023, Umweltbundesamt, Öko-Institut / jv
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