Die Fortschreibung der Nationalen Wasserstoffstrategie hält zwar die Tür für Wasserstoff-Heizungen offen, aber erst nach 2030 und unter Vorbehalten.
Das Bundeskabinett hat am 26. Juli 2023 die Fortschreibung der Nationalen Wasserstoffstrategie (NWS) beschlossen. Der Beschlussfassung im Kabinett vorausgegangen war eine „politische“ Einigung aller Ressorts. Die Nationale Wasserstoffstrategie aus dem Jahr 2020 hat grundsätzlich weiter Bestand, wird aber mit der Fortschreibung an das gesteigerte Ambitionsniveau im Klimaschutz und die neuen Herausforderungen am Energiemarkt weiterentwickelt.
Die Fortschreibung setzt staatliche Leitplanken für die Erzeugung, den Transport und die Nutzung von Wasserstoff und seinen Derivaten und bündelt die Maßnahmen der Bundesregierung. Eine zuverlässige Versorgung Deutschlands mit grünem, auf Dauer nachhaltigem Wasserstoff ist dabei erklärtes Ziel der Bundesregierung. Die Maßnahmen der Fortschreibung umfassen die gesamte Wertschöpfungskette, wurden vielfach bereits parallel zur Erarbeitung der Fortschreibung der Strategie begonnen oder sind kurzfristig für das Jahr 2023, mittelfristig für die Jahre 2024/25 sowie teilweise bereits langfristig bis 2030 geplant.
Bis 2030 haben Industrie und Kraftstoffe Priorität
Mit den Maßnahmen sollen u. a. ein beschleunigter Markthochlauf von Wasserstoff, die ausreichender Verfügbarkeit von Wasserstoff und seiner Derivate über heimische Elektrolysekapazitäten (und eine noch vorzulegende gesonderte Importstrategie), der Aufbau einer leistungsfähigen Wasserstoffinfrastruktur und das Deutschland wird bis 2030 Leitanbieter für Wasserstofftechnologien wird, sichergestellt werden. Zudem soll Wasserstoffanwendungen in den Sektoren etabliert werden. In der Einleitung der NWS-Fortschreibung heißt es dazu:
„Bis 2030 werden Wasserstoff und seine Derivate insbesondere bei Anwendungen in der Industrie, bei schweren Nutzfahrzeugen […] sowie zunehmend im Luft- und Schiffsverkehr eingesetzt. Im Stromsektor trägt Wasserstoff zur Energieversorgungssicherheit bei; durch auf klimaneutrale Gase umrüstbare Gaskraftwerke (H2-ready) und durch systemdienliche Elektrolyseure, insbesondere als variable und systemdienliche Stabilisatoren bzw. flexible Lasten. Zur perspektivischen Nutzung von Wasserstoff bei der zentralen und dezentralen Wärmeversorgung werden die Rahmenbedingungen aktuell im GEG, in der Wärmeplanung sowie im europäischen Gasmarktpaket weiterentwickelt.“
H2 für Raumwärme: Option mit vielen Fragezeichen
Konkreter wird es für den Wärmemarkt im Kapitel „3. Wasserstoffanwendungen etablieren“ im Abschnitt „d) Wärme (Gebäudesektor)“:
„Allgemein wird der Einsatz von Wasserstoff in der dezentralen Wärmeerzeugung nach derzeitigem Erkenntnisstand eine eher nachgeordnete Rolle spielen. Mit Blick auf die Nutzungskonkurrenz zwischen den Sektoren Industrie, Verkehr und Gebäude ist davon auszugehen, dass in den Sektoren Industrie und Verkehr die Nachfrage nach Wasserstoff vermutlich auch bei relativ hohen oder steigenden Preisen konstant bleibt, während bei vielen Gebäuden und Quartieren Ausweichmöglichkeiten / Substitute bestehen.
Ein direkter Wasserstoffeinsatz in der Raumwärme wird nach aktuellem Wissensstand außer in Pilotprojekten nur nach 2030 gesehen. Die Nutzung von Wasserstoff-Kesseln oder Wasserstoff-KWK-Anlagen kann in Gebäuden, an denen kein Wärmenetz anliegt und in denen sich Wärmepumpen nicht effizient betreiben lassen, aber eine notwendige Technologieoption darstellen, wenn in der Nachbarschaft ohnehin Wasserstoffgroßabnehmer anliegen und ein ausreichendes Wasserstoffangebot zu niedrigen Preisen zur Verfügung steht. In diesen voraussichtlich eher vereinzelten Fällen kann die Nutzung von hybriden Heizsystemen, bei denen durch Wasserstoff die Spitzenlasten abgedeckt werden, zur Entlastung des Stromsystems und Flexibilität des Gesamtsystems beitragen. Ob die Umrüstung von Erdgasverteilnetzen auf Wasserstoff und deren Betrieb für diese Nachfragemengen wirtschaftlich sinnvoll ist, ist zu prüfen. Entscheidungen zu derartigen Transformationspfaden sollten unter Berücksichtigung der lokalen Randbedingungen, vorgelagerten Infrastrukturen (d. h. vor allem eine räumliche Nähe zum nationalen Wasserstoff-Backbone) und der erwarteten Wirtschaftlichkeit der Wärmeversorgung einschließlich der Verteilnetzumrüstung anhand noch zu bestimmender, wissenschaftlich fundierter Kriterien getroffen werden. Hierbei soll die kommunale Wärmeplanung zum Einsatz kommen, die als zentrales Planungsinstrument flächendeckend eingeführt werden soll. Für die Bereitstellung von Raumwärme ist im Einzelfall auch zu prüfen, ob Wasserstoffderivate in Kombination mit Biomethan für ausgewählte Gasnetze eine Dekarbonisierungsoption darstellen können.
Die Voraussetzungen für die Anerkennung dieser Anwendungsvarianten als Erfüllungsoptionen für die geplante Nutzungspflicht von erneuerbaren Energien (65%-Regel) werden in der Novellierung des Gebäudeenergiegesetzes verankert.
In großen Wärmenetzen mit Anbindung an das nationale Wasserstofftransportnetz können stromgeführte wasserstoffbetriebene KWK-Anlagen in Verbindung mit Wärmespeichern einen Beitrag zur Wärmeversorgung leisten. Über die Einspeisung von Abwärme, beispielsweise aus der Elektrolyse, in Wärmenetze können Wasserstoffprozesse mittelbar der Wärmeversorgung dienen. Ob der Einsatz von Wasserstoff in kleinen Wärmenetzen ohne Anbindung an ein Wasserstoffnetz, d. h. mit lokaler Wasserstofferzeugung, eine wirtschaftlich sinnvolle Alternative darstellt, ist jeweils für den konkreten Anwendungsfall anhand möglichst einheitlicher, nach dem Stand der Wissenschaft entwickelter Kriterien zu prüfen. Weitergehende Einsatzmöglichkeiten im Wärmebereich sollen erprobt werden für den Fall, dass nach 2030 ausreichend preisgünstiger Wasserstoff zur Verfügung steht.
Kurzfristige Maßnahmen (2023)
● Das Potenzial zur Abwärmenutzung von Elektrolyseuren soll neben anderen Variablen, wie der EE-Stromverfügbarkeit und Stromnetzengpässen, bei der Standortwahl von Elektrolyseuren berücksichtigt werden.
● Im Leitfaden zum Wärmeplanungsgesetz, der in Abstimmung mit den Stakeholdern von der Bundesregierung entwickelt wird, werden Kriterien und Umsetzungshilfen zur Prüfung einer perspektivischen Nutzung von Wasserstoff in der dezentralen Wärmeerzeugung entwickelt.“
H2-ready-Heizungen…
Für potenzielle Heizungsmodernisierer, die aktuell trotz eindringlicher Warnungen (siehe: Grüner Wasserstoff für Gas-Heizungen: teuer und ineffizient) auf eine Wasserstoff-Heizung spekulieren, bringt die NWS-Fortschreibung kaum Klarheit. Ohne ausreichende Wasserstoffmengen für Wasserstoff-Heizungen (Raumwärme und Trinkwassererwärmung) könnte es für Netzgebiete ohne Wasserstoffgroßabnehmer schwer werden, verbindliche Fahrpläne für eine Umrüstung aufzustellen.
Entwicklungen nach 2030 kann man kaum abwarten. Denn laut der geplanten Novelle des Gebäudeenergiegesetzes und dem Entwurf für das Wärmeplanungsgesetz sollen Wärmepläne für alle Gemeindegebiete mit mehr als 100 000 Einwohnern spätestens bis zum 30. Juni 2026 und für alle Gemeindegebiete mit 100 000 oder weniger Einwohnern spätestens bis zum 30. Juni 2028 vorliegen.
Die GEG-Novelle des Gebäudeenergiegesetzes enthält für H2-ready-Heizung – Heizungsanlagen, die Erdgas verbrennen und „mit niederschwelligen Maßnahmen nach dem Austausch einzelner Bauteile auf die Verbrennung von 100 % Wasserstoff“ umgerüstet werden können – eine weitreichende Übergangsfrist:
Eine H2-ready-Gas-Heizung darf ohne Einhaltung der 65-%-EE-Anforderung zur Wärmeerzeugung eingebaut und weiterhin auch mit fossilem Erdgas betrieben werden, wenn das Gebäude in einem offiziell als Wasserstoffnetzausbaugebiet ausgewiesenen Gemeindegebiet mit verbindlichem Fahrplan für die bis zum Ablauf des 31. Dezember 2044 zu vollendende Umstellung der Netzinfrastruktur auf die vollständige Versorgung der Anschlussnehmer mit Wasserstoff, liegt.
…könnten für Gaswirtschaft zum Problem werden
Zwar gibt es momentan noch kein Angebot für H2-ready-Gas-Heizungen, dies ist aber nur eine Frage der Zeit. Können sie preislich mit einer „normalen“ Gas-Heizung mithalten, könnte das Kalkül der Gaswirtschaft aufgehen und viele Gaskunden dem aus Kundesicht durchaus bewährten Energieträger Erdgas über die 65-%-Erfüllungsoption H2-ready (zunächst) treu bleiben.
Vermutlich wird es nicht lange dauern, bis Marktteilnehmer mit der „preisgünstigen Abwendung“ der 65-%-EE-Anforderung auf Tour gehen. Auch „H2-ready-Förderprogramme“ der Gaswirtschaft werden nicht lange auf sich warten lassen. Fraglich ist jedoch, ob Gaskunden auch bei einer Umstellung auf teureren Wasserstoff treu bleiben oder im Vorfeld abspringen und so die Wirtschaftlichkeit der Netzumstellung gefährden.
Aktuell ist in der GEG-Novelle weder eine Sanktion für das gezielte Ausnutzen der Erdgas-Phase noch ein steigender Anteil erneuerbarer Energien im Vorfeld der Netzumstellung auf Wasserstoff vorgesehen. Die Gaslobby mag sich darüber freuen. Die Gaswirtschaft könnte aber aufgrund der Missbrauch förmlich anziehenden Übergangsfrist nach schon getätigten Investitionen eine böse Quittung erhalten: wenn in größerem Umfang Raumwärmekunden vollständig abspringen oder ihren Gasverbrauch über Hybridlösungen minimieren. Der Lock-in zum Schutz des überholten Geschäftsmodells wird dann zum Knockout. Man darf gespannt sein, ob entsprechende Stresstests für die Fahrpläne obligatorisch werden.
Die GEG-Novelle sieht lediglich vor, dass die Fahrpläne Festlegungen haben müssen, mit welchen zeitlichen und räumlichen Zwischenschritten in den Jahren 2035 und 2040 die Umstellung von Netzteilen in Einklang mit den Klimaschutzzielen des Bundes unter Berücksichtigung der verbleibenden Treibhausgasemissionen erfolgt. Das dürfte kaum ausreichend sein, Missbrauch zu vermeiden. ■
Quelle: NWS-Fortschreibung / jv
Im Kontext:
WPG: So soll die Kommunale Wärmeplanung ablaufen
Klimaziele erfordern Beschränkung bei Öl- und Gas-Heizungen
Im Neubau hat sich die Gas-Heizung auch ohne Verbot erledigt
Einbau einer Öl- oder Gas-Heizung ab 2024 nur mit Warnung
Gebäudeenergiegesetz: Die nächste Wette auf billiges Gas
Nur mit Wärmepumpen sind niedrige Heizkosten realisierbar