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Energieträger

Erdgas ist angezählt

Erdgas heizt fast die Hälfte aller Wohnungen in Deutschland, kann hier aber keine Zukunft haben. Klimaneutrale Gase stehen bisher bestenfalls auf dem Papier zur Verfügung. Bis sie ausreichend verfügbar und billig werden, kann der Klimaschutz aber nicht warten.“

„… bittet die Bundesregierung, sich bei der [EU-]Kommission für die Beendigung der Nutzung klimaschädlicher Energieträger aus fossilen Quellen einzusetzen und gleichzeitig den Einsatz klimaneutraler Alternativen zu ermöglichen.“

Was auf den ersten Blick auch der Appell einer Umweltorganisation sein könnte, ist ein Zitat aus einer Stellungnahme des Bundesrats vom 17. Dezember 2021 zur Mitteilung der EU-Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen „‚Fit für 55‘: auf dem Weg zur Klimaneutralität – Umsetzung des EU-Klimaziels für 2030“.

Bundesrat will Türen für blauen und türkisfarbenen Wasserstoff öffnen

Die Mitteilung ist auf den 14. Juli 2021 datiert, am 19. Juli 2021 wurde der Bundesrat über die Vorlage durch die Bundesregierung unterrichtet. Es blieb also viel Zeit, fein zu formulieren: Energieträger aus fossilen Quellen sind zwar aktuell fast ausschließlich klimaschädlich, werden sie aber künftig dekarbonisiert – also der Kohlenstoff gasförmig als CO2 oder als Feststoff „sicher“ gelagert und technisch bedingte Restemissionen ausgeglichen – gelten sie als klimaneutrale Alternative.

Bezogen auf den Gebäudebereich bedeutet dies: Die direkte Nutzung von Erdgas soll beendet, die Tür für blauen und türkisfarbenen Wasserstoff aus Erdgas aber weit geöffnet werden. Denn für den Bundesrat „sollte der Fokus auf die Sicherstellung von Versorgungssicherheit, Bezahlbarkeit, Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung gelegt werden.“

Erdgas-Alternativen haben zurzeit keine zusätzliche Verfügbarkeit

Für die direkte Ablösung von Erdgas gibt es zurzeit drei gängige Optionen, alle haben gegenüber dem aktuellen Stand keine (zusätzliche) Verfügbarkeit: Grüner Wasserstoff, blauer bzw. türkiser Wasserstoff und mit erneuerbaren Energien und klimaneutralem Kohlenstoff synthetisch erzeugtes Methan. Dass sie nicht verfügbar sind, hat einen einfachen Grund: Sie sind teurer als Erdgas. Ein größerer Teil des Preisabstands resultiert allerdings daraus, dass bei Erdgas bisher die externen Kosten durch die Treibhausgasemissionen nur in sehr geringem Umfang eingepreist sind.

Es mag sein, dass in Deutschland und Europa die Nachfrage nach klimaneutralen Energieträgern schneller als im Rest der Welt steigt, sie wird aber global rasant zunehmen. Billiger Wasserstoff ist also auf längere Zeit nicht in Sicht. Damit die Gleichung für Wettbewerbsfähigkeit aufgeht, muss der Energieträger Gas deutlich teurer werden und Erdgas seinem wahren Preis angenähert werden.

Erdgas wird aussortiert und Gas teurer werden

Bei Gas wird der Produktpreis aber nicht die einzige Kostenschraube bleiben. Die Ampel plant, dass ab 2025 jede neu eingebaute Heizung mit mindestens 65 % erneuerbarer Energie betrieben werden soll (siehe: Die TGA-Themen im Ampel-Koalitionsvertrag). Das wird im Gebäudesektor einen Trend verstärken: Die Gasmenge sinkt, wodurch die Netzentgelte wegen der schon gebauten, aber noch nicht refinanzierten, Infrastruktur zwangsläufig steigen – die Beimischung von Wasserstoff und der Bau von Wasserstoffnetzen werden dies noch verstärken. Zudem wandert Biogas derzeit in den Kraftstoffbereich ab und wird künftig als Erfüllungsoption eventuell nur eng begrenzt oder gar nicht zur Verfügung stehen.

Der Vorschlag für eine Neufassung der EU-Gebäuderichtlinie (siehe: Der neue EU-Standard: zero emission building) will spätestens 2040 im Gebäudesektor für fossiles Erdgas einen Schlussstrich ziehen. Das erfordert Maßnahmen, die schon bald beginnen müssen. Erdgas ist also angezählt. Das bedeutet nicht das Ende von Gas als Energieträger. Aber die Ära von Erdgas als preisgünstiger Energieträger wird noch innerhalb der bisher typischen Nutzungsdauer neu installierter Heizkessel enden. Bisher gibt die Gaswirtschaft dazu kaum schlüssige Antworten. Der Klimaschutz kann aber nicht warten, bis grüne Gase eines Tages billig werden.

Jochen Vorländer
Chefredakteur TGA Fachplaner
vorlaender@tga-fachplaner.de

Alle TGAkommentare finden Sie im TGAdossier TGA-Leitartikel