Die Thüga-Gruppe, Deutschlands größter Verbund lokaler und regionaler Energie- und Wasserversorger, fordert von der neuen Bundesregierung, dass zur schnelleren Dekarbonisierung des Wärmesektors und für die Energiewende im Gebäudebereich ein steigender Anteil klimaneutrales Gas im Erdgas über eine Treibhausgas-Minderungsquote vorgeschrieben wird.
Im deutschen Effort-Sharing-Sektor – das sind die Bereiche, die nicht vom EU-Emissionshandel erfasst sind, also die Emissionen aus den Sektoren Verkehr, Gebäude, Landwirtschaft, Abfall sowie einige Energie- und Industrieanlagen – ist Erdgas ein bedeutender Energieträger. Erdgas (im Wesentlichen Methan CH4) hat zwar von allen relevanten fossilen Energieträgern die geringsten verbrennungsbezogenen Treibhausgasemissionen pro kWh Nutzwärme, ist aber nicht zukunftsfähig: Laut Bundes-Klimaschutzgesetz will Deutschland bis 2045 treibhausgasneutral wirtschaften.
Die Gaswirtschaft muss ihre Geschäftsgrundlage dekarbonisieren
Eine Perspektive für die Weiternutzung der Gas-Infrastruktur ist, fossiles Erdgas durch klimaneutral hergestellte Gase zu ersetzen. Allerdings hat sich die Gaswirtschaft bisher kaum bemüht, diese Option freiwillig zur zwangsläufig notwendigen Dekarbonisierung ihrer Geschäftsgrundlage zu etablieren. Der Grund ist einfach und doch gewichtig:
Klimaneutrale Gase, das sind beispielsweise unter bestimmten Bedingungen Wasserstoff, Biogas oder synthetisch erzeugtes Methan, sind aktuell deutlich teurer als fossiles Erdgas und auch nicht ohne weiteres in den erforderlichen Mengen verfügbar. Zwar wird sich in den nächsten Jahren Erdgas im Effort-Sharing-Sektor durch die nationale CO2-Bepreisung verteuern, offensichtlich sieht die Gaswirtschaft aber keine Chance, Kunden von Gas mit geringeren Treibhausgasemissionen zu einem höheren Preis zu überzeugen.
Gesetzgeber soll Treibhausgas-Minderungsquote für Gas vorgeben
Darum soll die Politik einspringen. Und die Gaswirtschaft – mit ihrem bisherigen Produkt Teil des Treibhausgas-Problems – positioniert sich als Helfer, um politisches Versagen der vergangenen Jahre zu korrigieren. Michael Riechel, Vorsitzender des Vorstands der Thüga AG: „Im Gebäudebereich hat Deutschland in 2020 erstmals die Sektorziele verfehlt, in 2021 steigen die Emissionen sogar wieder. Hier müssen massive zusätzliche Anstrengungen unternommen werden.“
Im Wärmesektor ist dafür aus Sicht der kommunalen Energieversorger der Thüga-Gruppe neben bestehenden Gesetzen und Förderprogrammen ein marktwirtschaftliches Instrument erforderlich. Das kommunale Netzwerk spricht sich für die Einführung eines Quotenmodells aus. Das könne effizient und sozialverträglich in einem Sofortprogramm umgesetzt werden und den Markthochlauf klimaneutraler Gase fördern. Mit einer ansteigenden Treibhausgas-Minderungsquote für Gas unterbreiten die Unternehmen aus der Thüga-Gruppe der Politik einen konkreten Vorschlag.
Dr. Christian Friebe von der Stabsstelle Energiepolitik, der die Erstellung des Positionspapiers koordiniert hat: „Die Umsetzung der Quote erfolgt dabei durch die Energieversorger. Sie senken die CO2-Emissionen über den Einkauf von Wasserstoff und nachhaltigem Biogas für die Wärmeversorgung und schaffen damit gleichzeitig eine stabile Nachfrage im Markt.
Schnell realisierbar, viele Versprechungen
Prinzipiell ist eine Treibhausgas-Minderungsquote schnell und einfach realisierbar: Die Gaslieferanten werden verpflichtet, die Treibhausgasminderung durch klimaneutrale Gase sicherzustellen. Ein Vorteil wäre, dass im Vergleich zu anderen Instrumenten zur CO2-Minderung die Quote im Gebäudebestand auch Wärmekunden erreicht, die im Moment keine umfassenden Maßnahmen zur Sanierung umsetzen und finanzieren können.
Das klingt nach einer perfekten Lösung. Nur warum sollten Gaskunden dann überhaupt noch energetisch sanieren? Im Positionspapier heißt es dazu: „Die geringfügig höheren Kosten für den Energieträger Gas [mit Treibhausgas-Minderungsquote] führen auch dazu, dass die Sanierung von Gebäuden weniger öffentliche Förderung benötigt, weil sie schneller wirtschaftlich wird.“ Mit einer identischen Argumentation wurde die CO2-Bepreisung eingeführt. So heißt es auch im Positionspapier: „Die Treibhausgas-Minderungsquote kann langfristig auslaufen, sobald der CO2-Preis selbst ausreichend Anreize für die Nutzung klimaneutraler Gase setzt.“ Denn: „Die Kosten für die Quote werden nach dem Verursacherprinzip von den Nutzern getragen.“
Und das Positionspapier verspricht: „Bei einer zügigen Umsetzung durch die Politik ließen sich ohne den Einsatz von Steuergeldern bis 2030 zusätzlich gut 20 Mio. Tonnen CO2 jährlich einsparen. Gleichzeitig werden Strafzahlungen Deutschlands im Rahmen des EU-Effort-Sharing vermieden.“
Bewertung der TGA-Redaktion
Im Jahr 2020 sind ohne den Eigenverbrauch der Gaswirtschaft 939 TWh an alle Kundengruppen abgesetzt worden. 31 % davon wurden an Haushalte einschließlich Wohnungsgesellschaften und 12 % an den Sektor Gewerbe, Handel und Dienstleistungen geliefert. Beide Kundengruppen gehören zum Effort-Sharing-Sektor (im Bundes-Klimaschutzgesetz sind sie mit geringen Abweichungen als Gebäudesektor zusammengefasst) und haben 2020 rund 402 TWh Erdgas energetisch genutzt und dabei verbrennungsbezogen 80,8 Mio. t CO2 freigesetzt.
Eine Verringerung um 20 Mio. tCO2/a im Jahr 2030 klingt beachtlich. Bezogen auf den aktuellen Erdgasabsatz (das „Problem“) entspricht dies bei verbrennungsbezogen CO2-Emissionen einer Verringerung um rund 100 TWh, gut 10 % vom heutigen Erdgasabsatz wären dann 2030 durch klimaneutrale Gas substituiert.
Große Zahlen, aber auch ein großer Beitrag?
Zum Vergleich: Als zulässige Jahresemissionsmenge des Gebäudesektors für das Jahr 2030 gibt das Bundes-Klimaschutzgesetz 67 Mio. t CO2-Äquivalent vor. Das entspricht einer Minderung von 41 % gegenüber dem Zielwert für 2021. Eine „faire“ Gesamtminderung (ohne Effekte durch Energieträgerwechsel) müsste somit auch Erdgas bzw. müssten die Erdgaskunden bis 2030 beisteuern. Die Treibhausgasemissionen im heute mit Erdgas versorgten Gebäudebestand müsste mit diesem Ansatz von verbrennungsbezogen 80,8 Mio. tCO2/a auf 47,9 Mio. tCO2/a sinken.
Bisher hat die Politik der Jahresemissionsmenge des Gebäudesektors für 2030 explizit keinen nennenswerten Anteil klimaneutraler Gase als Minderungsbeitrag hinterlegt. Der in den Raum gestellte Betrag von zusätzlich 20 Mio. tCO2/a im Jahr 2030 wird in Berlin also so verstanden werden, dass der heute mit Erdgas versorgten Gebäudebestand im Jahr 2030 verbrennungsbezogen nur noch 27,9 Mio. tCO2/a emittiert.
Das wäre tatsächlich beachtlich. Es ist aber unwahrscheinlich, dass die Thüga-Gruppe so bilanziert. Jedenfalls macht es einen erheblichen Unterschied, ob die Einsparung von 20 Mio. tCO2/a im Jahr 2030 durch klimaneutrale Gas über einen Gasverkauf von 402 TWh/a oder 0,59 × 402 TWh/a = 237 TWh von den Kunden zu finanzieren ist.
Dass die Thüga-Gruppe die Einsparung 20 Mio. tCO2/a im Jahr 2030 nicht oder nicht in vollem Umfang additiv zur der vom Bundes-Klimaschutzgesetz ohnehin vorgezeichneten Minderung sieht, darauf deutet auch der Verweis im Positionspapier Klimaneutrales Gas jetzt für Wärmewende nutzen auf die von Zukunft Gas beauftrage Studie „Klimaschutz im Wärmemarkt: Wie können wir Klimaneutralität im Bereich der Wohngebäude erreichen?“ verweist, die ihre Ergebnissen ohne eine CO2-Budgetbetrachtung präsentiert und die Zwischenziele des Bundes-Klimaschutzgesetzes ignoriert, siehe auch: Ist mit Gas die Wärmewende am günstigsten?
Kritische Effekte bei einer prozentualen Quotenregelung
Und ganz allgemein gilt: Wenn eine prozentuale Quotenregelung auf einen bestimmten Einsparungswert ausgerichtet wird, dürfen keine Kunden abspringen und die verbleibenden Kunden dürfen ihren Gasverbrauch nicht über den Plan hinaus senken. Denn sinkt der Gasabsatz im Effort-Sharing-Sektor in einer ähnlichen Größenordnung wie die Treibhausgas-Minderungsquote steigt, stagniert die Menge an substituiertem Erdgas. Insgesamt ergäbe sich dadurch eine größere Treibhausgasminderung, aber keinen kontinuierlichen Markthochlauf und keine Planungssicherheit für Investoren.
Begegnet man dem Effekt mit einer Vorgabe von Mindestmengen, würde dies die Quote künstlich anheben. Dies hätte nahezu zwangsläufig zur Konsequenz, dass der Preis für das teildekarbonisierte Erdgas schneller als mit der Quotenregelung steigt und die Kunden früher Maßnahmen zur Senkung des Energieverbrauchs ergreifen oder die Technologie wechseln.
Planungssicherheit durch Treibhausgas-Minderungsquote ist fraglich
Es stellt sich also die Frage, ob die von der Thüga-Gruppe vorgeschlagene Treibhausgas-Minderungsquote tatsächlich Investoren einen planbaren wettbewerblichen Anreiz für eher langfristig zu refinanzierende Investitionen in die Erzeugung klimaneutraler Gase gibt. Zudem benötigen Investoren, die erst später einsteigen, eine Perspektive weit über 2030 hinaus. Dazu muss beantwortet werden, wie in folgenden 15 Jahren bis 2045 der 2030 noch bei rund 80 % liegende fossile Erdgasanteile wettbewerbsfähig dekarbonisiert wird.
Und: Das „Klimaneutralität 2045“ tatsächlich das verbindliche Ziel bleibt, ist auch nicht sicher. Vielleicht bleibt es so stehen, aber ein linearer Minderungspfad bis 2045 ist nach heutigem Kenntnisstand nahezu ausgeschlossen. Vielmehr wird es für einige Sektoren deutliche steilere Minderungspfade geben und ein deutlich kleineres Zeitfenster als noch 24 Jahre geben.
Das aktuelle Geschäftsmodell ist nicht mehr tragfähig
Die Gaswirtschaft ist bisher nicht sonderlich durch Klimaschutz über das Pflichtprogramm hinaus aufgefallen. Der Vorschlag hat durchaus positive Aspekte (wobei man die tatsächliche Treibhausgaseinsparung verbindlicher gestalten könnte, siehe: F-Gase-Phase-down als Vorbild). Aber worin besteht eigentlich die Leistung der Gaswirtschaft (außer der Erarbeitung des Positionspapiers)?
Jedenfalls ist es mutig, in einer Phase deutlich steigender Preise einen Vorschlag zu unterbreiten, der Erdgas noch weiter verteuert. Offensichtlich ist angesichts einer neuen Bundesregierung die Sorge groß, dass die Gaswirtschaft bei den Klimaschutzmaßnahmen im Gebäudesektor keine tragende Rolle bekommt. Aber die neue Preiskomponente soll der Gesetzgeber einführen und muss sie damit auch dem Wahlvolk präsentieren.
Auch die Gaswirtschaft wird zu den Investoren für Erzeugungsanlagen für klimaneutrale Gase gehören, aber letztendlich handelt es sich um eine von den Kunden bezahlte Erneuerung eines nicht mehr tragfähigen Geschäftsmodells. Ohne Gewissheit, dass sich das erneuerte Geschäftsmodell behaupten kann. Denn müssen die Kosten der Gasinfrastruktur künftig auf eine schrumpfende Gasmenge umgelegt werden, könnte der Energieträger Gas auch weitgehend klimaneutral schnell seine Wettbewerbsfähigkeit im Gebäudesektor einbüßen. ■