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Studien

Ist mit Gas die Wärmewende am günstigsten?

In der Bilanz des Bundes-Klimaschutzgesetzes steht der Gebäudesektor für etwa 16 % der CO2-Emissionen in Deutschland. Ihn in die Klimaneutralität zu führen, ist angesichts der großen Anzahl an Gebäuden, Eigentümern und weiteren Akteuren eine große Herausforderung. Die von Zukunft Gas in Auftrag gegebene Studie „Klimaneutral Wohnen“ der Nymoen Strategieberatung soll zeigen, dass ein zentraler Hebel der Wärmewende die Dekarbonisierung des Energieträgers Gas ist. Sie dokumentiert gleichzeitig das Gegenteil.

Die Studie „Klimaneutral Wohnen“ beansprucht für sich, eine der bisher detailliertesten Gesamtbetrachtungen im Hinblick auf den tatsächlichen Wohngebäudebestand in Deutschland und den Sanierungsmöglichkeiten zu sein. Über einen Berechnungsalgorithmus wurden für 974 Kategorien an Bestandsbauten detaillierte Wege zur Klimaneutralität bis 2050 ermittelt. Das ist tatsächlich fortschrittlich.

Kriterien für die Berechnung waren u. a. Alter und Bauweise der Gebäude, zudem, ob das Gebäude selbst genutzt oder vermietet wird. Ziel der Berechnungen war es, die größtmögliche CO2-Einsparung unter der Randbedingung zu erreichen, dass die Eigentümer der Wohngebäude die erforderlichen Maßnahmen auch finanzieren können. Dabei sind 1760 verschiedene Sanierungsfahrpläne für alle in Deutschland bestehenden Wohngebäudetypen entstanden.

An dieser Stelle sei bereits angemerkt, dass die Bezahlbarkeit zwar auch eine von der Politik erklärte Notwendigkeit ist, das Ziel der aktuellen Politik aber nicht die größtmögliche, sondern eine genau festgelegte CO2-Einsparung oder darüber hinaus ist.

„Gas wird noch 2050 ‚beliebtester‘ Energieträger sein“

Die Studie kommt – wie auch andere Studien mit anderen Wegen – zu dem Schluss, dass die Klimaneutralität im Wärmemarkt finanzierbar möglich ist. Den größten Anteil an der Reduktion hat dabei der Einsatz von dekarbonisierten Energieträgern. Und: „Auch im Jahr 2050 werden gasförmige Energieträger weiterhin die beliebteste Heizquelle im Wohngebäudebestand sein.“

Strom, als zweite Säule der Wärmeversorgung, ist laut der Studie vor allem im Neubau als Heizoption attraktiv. Das ist allerdings keine Neuheit, in der Statistik der genehmigten Wohnungen liegen seit Juli 2020 Wärmepumpen vor Gas-Heizungen, bezogen auf die Anzahl der Wohnungen. Bezogen auf die Anzahl genehmigter neuer Wohngebäude gab es den Wechsel schon im Jahr 2017, verzögert wurde er nur durch die Momentan-Betrachtungen in der Energieeinsparverordnung.

Bei Zukunft Gas sieht man das anders. Dr. Timm Kehler, Vorstand der Brancheninitiative Zukunft Gas: „Schon heute heizt die Hälfte der Deutschen mit Gas. 2050 werden es dann fast 60 % sein. Dabei wird der heutige Energieträger Erdgas in den kommenden Jahren und Jahrzehnten sein Gesicht vollkommen verändern.“

Zur Verfügung stehen allerdings nur noch 24 Jahre. Die Studie geht noch von 29 Jahren bis 2050 aus, sie wurde vom Klimaurteil und der bisher zunächst vom Bundeskabinett beschlossenen Novelle des Bundes-Klimaschutzgesetzes, die Klimaneutralität 2045 als neues Ziel ausgibt überrollt.

So sollte aus Sicht der Gaswirtschaft die Wärmewende im Gebäudesektor ablaufen: In den nächsten 30 Jahren steigt die Anzahl der mit Gas beheizten Wohnungen von 20,4 Mio. auf 23,8 Mio.

Zukunft Gas

So sollte aus Sicht der Gaswirtschaft die Wärmewende im Gebäudesektor ablaufen: In den nächsten 30 Jahren steigt die Anzahl der mit Gas beheizten Wohnungen von 20,4 Mio. auf 23,8 Mio.

Biomethan soll die Brücke bauen

Laut der Studie werden im Jahr 2050 zwei verschiedene gasförmige Energieträger zum Einsatz kommen: Ein Gasmix, der zu 80 % aus Biomethan und 20 Vol.-% aus dekarbonisiertem Wasserstoff besteht und reiner Wasserstoff, aus grüner, türkisener und blauer Wasserstoffproduktion. Der Gasmix mit 20 Vol.-% ist technisch bedingt, eine höhere Beimischung erfordert zusätzliche technische Maßnahmen bzw. Voraussetzungen bei den Verbrauchseinrichtungen.

Zur zweiten Möglichkeit, des Bezugs von 100%igem Wasserstoff heißt es in der Studie: „Da diese Option einen entsprechenden Netzausbau erfordert, wird sie für die Optimierung erst ab 2030 peu à peu für unterschiedliche Gebäudecluster zugelassen. Zudem wird angenommen, dass die Endgeräte ab 2025 H2-ready sind. Wasserstoff kann so als alternativer Energieträger an Stelle des Gasmixes verwendet werden, wenn es die finanziellen Möglichkeiten der Eigentümer bzw. Nutzer zulassen.“

Wo die das fossile Erdgas ersetzenden Gase herkommen, lässt die Studie weitgehend offen. Auch Zukunft Gas thematisiert das nicht, ist sich trotzdem sich, dass das Planspiel aufgeht. Kehler: „Die Studie Klimaneutral Wohnen zeigt: Mit Gas geht’s! Durch den Einsatz von dekarbonisiertem Gas als zuverlässigen Energieträger gelingt eine finanzierbare Wärmewende.“ Unterstützt werde diese Wende durch technische Innovationen der Heizungsbranche, Zukunft Gas zahl dazu: „Effiziente Brennwerttechnik, die Brennstoffzelle und Geräte, die mit reinem Wasserstoff betrieben werden können.“

Politik soll Strategien anpassen und Wasserstoff Volksenergie werden

Voraussetzung ist jedoch, so Kehler, dass der Fokus des Regulierungsrahmens mehr auf der Einhaltung der CO2-Minderungsziele und weniger auf der Vorgabe konkreter Maßnahmen liegt. Dazu sei es notwendig, alle klimaneutralen Energieträger und deren Anwendungstechnologien als Klimaschutzlösungen im Gebäudebereich anzuerkennen und in Förderprogrammen zu berücksichtigen.

Zwischenruf: Dass die Studie die Einhaltung der CO2-Minderungs[zwischen]ziele absichtlich nicht beachtet, wird weiter unten ausgeführt.

Auch müssten jetzt die Weichen für einen Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft gestellt werden, fordert Kehler weiter: „Die Studie unterstreicht die Bedeutung von Wasserstoff für den Wärmemarkt. Wir sollten uns daher intensiver mit effizienten und klimaneutralen Produktionsmöglichkeiten, etwa der Methanpyrolyse, auseinandersetzen. Nur so können wir den künftig hohen Bedarf an Wasserstoff decken und Wasserstoff zur neuen Volksenergie machen. Außerdem sollte die Politik durch eine Anpassung der Öko-Design-Richtlinie die Geräteindustrie unterstützen, weitere Heizgeräte zu entwickeln und auf den Markt zu bringen, die H2-ready sind.“

Warum das Planspiel so nicht aufgehen wird

Aus dem Kapitel „Fokus der Studie“: „Sie soll einen Beitrag zur Diskussion um mögliche Zielerreichungspfade leisten und dabei nicht nur die technologische Realisierbarkeit, sondern auch die Finanzierbarkeit und Bezahlbarkeit für Gebäudeeigentümer und -nutzer berücksichtigen.“

Ausdrücklich zu begrüßen, ist der gewählte Ansatz mit Sanierungsfahrplänen für Gebäude, die den Bestand und damit die herausfordernde Vielfalt repräsentieren. Für andere Punkte nimmt die TGA-Redaktion das Diskussionsangebot gerne an:

Heizöl-Wechsler sind Teil der Dekarbonisierung

Einerseits fordert die Gaswirtschaft, dass die Politik möglichst allen Optionen eine Chance bietet, andererseits fordert sie Unterstützung dafür, dass 2050 sogar mehr Gebäude als heute mit Gas beheizt werden. Die Studie weist für den Gebäudesektor einen Endenergieverbrauch über Gase von 275 TWh im Jahr 2020 und 277 TWh im Jahr 2050 aus. Der nahezu gleiche Verbrauch ergibt sich aus Verschiebungen bei der Wärmerzeugung, Heizöl wird insbesondere zugunsten von Gas aussortiert, ebenso wird unterstellt, das Nachspeicherheizung hauptsächlich zu Gas wechseln, Wärmepumpen spielen in der Studie bei der Heizungsmodernisierung nur eine untergeordnete Rolle.

Zitat aus dem Management Summary der Studie: „Ein Einsatz effizienter strombasierter Technologien findet im Bestand nur in Ausnahmefällen statt, da eine entsprechende Sanierung der Gebäudehülle (Gebäudeeffizienz) Voraussetzung für den Einbau ist. Dadurch sind diese jedoch für die Mehrheit der Eigentümer nicht finanzierbar bzw. im Vergleich der verschiedenen Maßnahmen zueinander unattraktiv.“

Für ein Planspiel, insbesondere wenn es die Situation der Heizungsbetreiber berücksichtigt, sind solche Annahmen legitim, aber nicht zwangsläufig realistisch. Ergeben sich letztendlich abweichende Bewegungen, wie sie in anderen Szenarien angenommen oder als notwendig vorausgesetzt werden, kommt es zu Rückkopplungen.

In Österreich wurde der Ausstieg aus fossiler Energie für Raumwärme konkretisiert. Ab 2022 werden Öl-Heizungen und ab 2025 Gas-Heizungen verdrängt.

JV

In Österreich wurde der Ausstieg aus fossiler Energie für Raumwärme konkretisiert. Ab 2022 werden Öl-Heizungen und ab 2025 Gas-Heizungen verdrängt.

Der Gasabsatz darf nicht sinken

Gibt es beispielsweise deutlich weniger Wechsler von Heizöl zu Erdgas, kann dort der geringere CO2-Ausstoß durch den Energieträgerwechsel nicht gutgeschrieben werden. Für einen fairen Beitrag des Gas-Systems müsste es hier dann mehr und früher wirkende Maßnahmen ergriffen werden – eine stärkere Bewegung ist hingegen unrealistisch, da sie bereits im höchstmöglichen Bereich angesetzt wurde.

Kommt es sogar zu einer Abwanderung aus dem Gas-System, bleiben die Fixkosten der Gasbereitstellung nahezu unverändert und sind auf eine sinkende Absatzmenge zu verteilen. Steigende Gaspreise könnten die Abwanderung beschleunigen. Im Januar 2021 weist die BDEW-Gaspreisanalyse bei einer Abnahmemenge von 20 000 kWh/a für Netzentgelt inklusive Messung und Messstellenbetrieb einen Anteil von 32 % aus.

Hybridisierung verdrängt Gas

Und dann gibt es da noch zwei Faktoren, die die Gaswirtschaft schrecken: Mit einer Verbreitung von Wärmepumpen-Gas-Hybrid-Heizsystemen wird sich der Gasabsatz auf wirklich kalte Tage verlagern und in den Sommermonaten wird der absehbare Photovoltaik-Zubau auf Hausdächern zunehmend bisher für die Trinkwassererwärmung eingesetztes Gas verdrängen. Das verteuert die Beimischung von Wasserstoff im Grenzbereich von 20 Vol.-% durch eine Zwischenspeicherung oder verhindert, dass im Jahresmittel eine Beimischung von 20 Vol.-% erreicht wird, ohne temporär / lokal diese Quote deutlich zu überschreiten. 

Allein die erst kurz vor der Studienpräsentation von der Bundesregierung angekündigte Kostenübernahme von 50 % der nationalen CO2-Bepreisung durch die Vermieter hat das Potenzial einer Fluchtbewegung aus Erdgas und Heizöl, zumindest teilweise durch eine Hybridisierung vorhandener Wärmeerzeuger. Denn in den nächsten zehn Jahren wird der Erdgasmix in dem Studienszenario nur in geringem Umfang dekarbonisiert und eine freiwillige Umstellung auf Biomethan dürfte nur in speziellen Konstellationen geringere Gesamtkosten aufweisen.

Bezüglich der Wünsche von Hausbesitzern / Betreibern haben die Studienautoren ohnehin einen eingeschränkten Blickwinkel: „Nicht berücksichtigt wurden Maßnahmenkombinationen mit sektorenkoppelnder Wirkung, wie beispielsweise die Kombination von elektrischen Wärmepumpen mit Photovoltaik-Anlagen. Diese Kombinationen sind insbesondere im Einfamilienhausneubau aktuell am Markt stärker gefragt aufgrund des Wunsches nach Teilautarkie. Im Rahmen dieser Studie wird der Fokus auf den Wärmemarkt und die Wärmebereitstellung sowie den Gebäudebestand gelegt.“

Gleichzeitig werden in dem Modell bis 2050 ca. 7,3 Mio. energieineffiziente Wohneinheiten abgerissen (oder als leerstehend unbeheizt betrachtet) und 9,5 Mio. Wohnungen neu errichtet.

Preisentwicklung der Energieträger, die den Berechnungen zugrunde gelegt wurde; Verbraucherkosten in Ct/kWh inklusive CO2-Bepreisung, Preisangaben für 2050 gerundet. Eine Sensitivitätsanalyse mit einem deutlich höheren Preis (+ 5 Ct/kWh) für den Wasserstoffmix hat zu einem weitgehend identischen Ergebnis geführt.

Nymoen Strategieberatung / Zukunft Gas

Preisentwicklung der Energieträger, die den Berechnungen zugrunde gelegt wurde; Verbraucherkosten in Ct/kWh inklusive CO2-Bepreisung, Preisangaben für 2050 gerundet. Eine Sensitivitätsanalyse mit einem deutlich höheren Preis (+ 5 Ct/kWh) für den Wasserstoffmix hat zu einem weitgehend identischen Ergebnis geführt.

CO2-Preis im Vergleich zu anderen Studien niedrig angesetzt

Die Studie geht von sehr moderat steigenden Kosten aus der CO2-Bepreisung fossiler Brennstoffe aus. Nach dem für das Jahr 2025 festgelegten Zertifikatpreis (Preis pro Tonne der verbrennungsbezogenen CO2-Emissionen) von 55 Euro unterstellt die Studie einen Preisanstieg von 5 Euro/a. Im Jahr 2030 wären dann 80 Euro erreicht.

Das im März 2020 vom Öko-Institut vorgelegte Gutachten zur Bewertung der Wirkung des Klimaschutzprogramms 2030 im Auftrag des Bundesumweltministeriums und des Umweltbundesamts unterstellt einen Anstieg um 15 Euro/a auf 125 Euro im Jahr 2030. Das parallel dazu vom Bundeswirtschaftsministerium bei Prognos beauftrage Gutachten verwendet einen Preispfad mit einem Anstieg von 30 Euro/a von 2027 bis 2029 und 25 Euro im Jahr 2030 mit einem Preis von dann 180 Euro.

Inzwischen hat sich einiges geändert, auch die Ziele für 2030 wurden angehoben. Welcher CO2-Preis sich bei der ab 2027 möglichen freien Auktionierung einer begrenzten Menge von Zertifikaten am Markt ergibt, ist heute noch offen, zumal hier nach aktuellem Brennstoffemissionshandelsgesetz (BEHG) die zulässigen Jahresemissionsmengen aus dem Gebäudesektor und dem Verkehrssektor gemeinsam betrachtet werden. Bisher sind beide Sektoren ohne den Einfluss der Coronavirus-Pandemie allerdings noch nicht auf dem Zielpfad. Eine Differenz von 45 oder sogar 100 Euro pro t CO2 (Öko-Institut bzw. Prognos gegenüber „Klimaneutral Wohnen“) würde aber die Betriebskosten von Gas-Systeme (die Studie sieht für das Jahr 2030 einen Fossilanteil von 83 % vor) deutlich erhöhen und könnte zum Abwandern von Heizungsmodernisierern führen.

Schon viel früher könnte sich die Heizungsmodernisierung in eine andere Richtung bewegen, wenn nämlich der CO2-Preis schon 2022 oder 2023 zugunsten einer Absenkung der EEG-Umlage erhöht wird, siehe: Das bringt „CO2-Bepreisung rauf, EEG-Umlage runter“.

Woher kommen Biomethan und Wasserstoff?

Eine weitere Unsicherheit der Studie ist die Verfügbarkeit von Biomethan und der verschiedenen Wasserstoffarten in den jeweiligen Jahren und die angenommene Preisentwicklung. Zumindest bei Wasserstoff wird auch unterstellt, dass sich die Preise an tatsächlichen Kosten orientieren und nicht am Markt mit international hoher Nachfrage bilden.

Wenn aber die Produktionskapazität der ohne Zweifel stark steigenden Nachfrage nach gehandeltem Wasserstoff hinterhereilt, werden sich am Markt eventuell höhere Preise ergeben, bzw. die in der Studie unterstellte Preisreduktion erst später im deutschen Gasnetz ankommen. Erfolgt die Substitution etwas später, steigt unweigerliche der CO2-Preis. Und selbst national zeichnen sich schon heute Verteilungskämpfe um „grüne Energieträger“ zwischen den Sektoren ab. So ist beispielsweise die Erhöhung von heute 10 TWh/a Biomethan bis 2030 auf 87 TWh/a und bis 2040 auf 109 TWh/a aus nationaler Erzeugung durchaus möglich, aber eine Verwendung für den Gebäudesektor nicht ohne Weiteres sicherzustellen.

Unbeantwortet bleibt auch, wie die anderen vom Gasnetz transportierten Mengen dekarbonisiert werden. 2020 wurden insgesamt 939 TWh Erdgas an die Abnehmer geliefert, die Studie umfasst aber nur 265 TWh im Jahr 2020. Der BDEW gibt für 2020 (vorläufig) eine an Haushalte einschließlich Wohnungsgesellschaften gelieferte Gasmenge von rund 338 TWh an. 291 TWh gingen an den Sektor „Gewerbe, Handel, Dienstleistungen“, der im Bundes-Klimaschutzgesetz weitgehend dem Gebäudesektor (“Verbrennung von Brennstoffen in: Handel und Behörden; Haushalten“) zugeordnet ist.  

Gesetzliche Zwischenziele werden nicht eingehalten

Die Studie weist für die Stützjahre 2020, 2030, 2040 und 2050 Treibhausgasemissionen für den Gebäudebestand aus. Diese sind allerdings nicht mit den Sektorzielen aus dem Bundesklimaschutzgesetz kompatibel, „zur umfassenden Abbildung des Wohngebäudemarkts wurden Fernwärme und Strom miterfasst. […] Abzüglich von Strom und Fernwärme ergibt sich für das Jahr 2030 in der Optimierung [die für 2030 keine Zielvorgabe macht] eine Emissionsmenge von 75,4 Mio. t CO2.“

Studienbegleitende Broschüre Klimaneutral Wohnen

Zukunft Gas

Studienbegleitende Broschüre Klimaneutral Wohnen

Laut aktuellem Bundes-Klimaschutzgesetz (KSG) sind 70 Mio. t CO2 in 2030 für den gesamten Gebäudesektor einzuhalten, die KSG-Novelle will den Zielwert der zulässigen Jahresemissionsmenge mittlerweile auf 67 Mio. t CO2 absenken. 2020 entfielen gemäß der KSG-Bilanz 76 % der Treibhausgasemissionen  im Gebäudesektor auf die Haushalte. 

Die Nichtberücksichtigung der Zielvorgaben in den einzelnen Jahren hat mehrere Konsequenzen. Zunächst führt die vermutlich noch über 2030 fortgesetzte Überschreitung zu höheren CO2-Preisen. Das verändert die Annahmen für die Wirtschaftlichkeit von Gas-Systemen und könnte dazu führen, dass mehr Heizungsmodernisierer sich gegen Gas-Systeme entscheiden. Die Kosten der Gasbereitstellung müssten dann auf eine kleinere Gasmenge verteilt werden.

Die Studie liefert dafür nur einen Lösungsvorschlag: „Einsparungen von bis zu 6,5 Mio. t CO2 [im Jahr 2030] könnten u.a. durch die vorgezogene Substitution der verbliebenen ölbetriebenen Heizungsanlagen durch vergleichbare gasbasierte Technologien erfolgen.“ Anmerkung: Die Einsparung bezieht sich auf GEMIS-Emissionsfaktoren und nicht auf die Faktoren des KSG.

Keine CO2-Budgetbetrachtung

Die Studie macht keine CO2-Budgetbetrachtung, was auch nicht verwunderlich ist, denn das CO2-Budget bis 2030 dürfte deutlich höher ausfallen, als es das KSG zulässt. Das hat wiederum zur Konsequenz, dass die zuständigen Ministerien Sofortprogramme zur Rückkehr auf den Zielpfad vorschlagen müssten. Dass diese ausschließlich die Gasstrategie unterstützen, ist nicht anzunehmen, auf jeden Fall werden durch diese Rückkopplung ebenfalls zahlreiche Annahmen der Studie beeinflusst.

Spätestens nach dem Klimaurteil verringert sich der Wert jeder Studie, die keine CO2-Budgetbetrachtungen vornimmt. Eine Studie die sogar bis 2030 mehr Treibhausgasemissionen als vom Gesetzgeber vorgesehen beansprucht, müsste zumindest glaubhaft machen, dass sie die Überschreitung in den folgenden Jahren kompensiert oder überkompensiert. Selbst Zukunft Gas, damals noch mit dem Namen Zukunft Erdgas, hat schon vor mehreren Jahren appelliert:

„Jede Tonne CO2, die wir heute emittieren, bleibt für viele Jahre in der Atmosphäre und beschleunigt den Klimawandel. Daher liegt den Klimazielen aus Paris ein Budget-Gedanke zugrunde: Um das Klimaziel von Paris zu erreichen, darf nur eine begrenzte Menge CO2 emittiert werden. Bislang hat sich der Budget-Gedanke noch nicht als Steuergröße für Klimaschutz verankert. Die Politik fokussiert sich einseitig auf Jahres-Klimaziele, die weit in der Zukunft liegen.“

Es wäre sicherlich sinnvoll gewesen, wenn Zukunft Gas den eigenen Appell auch zum Soll der selbst beauftragten Studie gemacht oder zumindest eine objektive Bewertung vorgenommen hätte.

Kein Kostenvergleich der Systeme

Ein großes Manko ist zudem, dass die Studie keine Angaben dazu macht, wie dicht oder entfernt die Gesamtkosten anderer Lösungen zu den Gas-Systemen liegen. Das verhindert eine Bewertung, wie stabil die Ergebnisse sind und wie groß der Einfluss abweichender Parameter ist.

Endkunden entscheiden sich nicht zwangsläufig für das wirtschaftlich optimale System. Gute eigene oder zugetragene Erfahrungen mit Energieträgern oder Systemen, Förderprogramme, Komfortansprüche, der Wunsch nach Unabhängigkeit, regionale Ausprägungen und die Empfehlung des Fachhandwerks können auch größere Differenzen bei den Gesamtkosten wettmachen. Dazu kommt: Nur wenige Heizungsmodernisierer werden überhaupt jemals mit einer Lebenszyklusbetrachtung aller Kosten zur Auswahl stehender Systeme konfrontiert.

Es ist also keinesfalls als gesichert anzunehmen, dass sich die Hausbesitzer so verhalten, wie es die Logik des Optimierungsalgorithmus annimmt. Bei vielen anderen Auftraggebern wäre das wenig problematisch. Bei der Gaswirtschaft ist es aber entscheidend. Wie oben beschrieben, hängen wesentliche Annahmen davon ab. Weicht die Realität davon zu stark ab, funktioniert eventuell der gesamte Ansatz nicht mehr. Überspitzt ausgedrückt: Das Gas-System der Studie funktioniert als große Lösung, wird eine kritische Größe (Gasmenge / Gaskunden / Anschlussdichte) unterschritten, kann es kollabieren.

Und was kommt nach 2050?

Ab 2021 unterstellt die Studie für Neubauten den Baustandard „Niedrigstenergiehaus 2.0“, der im Einfamilienhaus in 10 % der Fälle eine Brennstoffzelle und in 90 % der Fälle eine „elektrische Luftheizung“ als Beheizungsart bekommt. Neu gebaute Mehrfamilienhäuser werden dann nur noch mit einer elektrischen Luftheizung ausgestattet.

Da 2050 über den Neubau schon seit 20 Jahren keine nennenswerte Gasnachfrage mehr existiert, gleichzeitig aber ein großer Anteil der Neubauten als Ersatz bestehender Gebäude entstehen und auch nach 2050 noch energetisch modernisiert wird, kommt irgendwann zwischen 2045 und 2050 der Zeitpunkt, ab dem die Gasabnahme sinkt und die Anschlussdichte kontinuierlich abnimmt.

Studie Klimaneutral Wohnen

Nymoen Strategieberatung

Studie Klimaneutral Wohnen

Mit der KSG-Novelle, die vermutlich noch gar nicht die letzte Zielverschärfung sein wird, würde der Zenit des Gasabsatzes schon zwischen 2040 und 2045 liegen. Wenn 100 % Wasserstoff aber erst „peu à peu“ ab 2030 mit entsprechendem Netzausbau möglich wird, müssen sich diese Investitionen in relativ kurzer Zeit refinanzieren. Es könnte also sein, dass schon ab 2035 für manche Versorgungsgebiete eine Umstellung auf reinen Wasserstoff oder eine Beimischung deutlich über 20 % keine wirtschaftliche Perspektive hat und die Dekarbonisierung des Energieträgers Gas hier auf einem anderen Weg oder ersatzweise schneller an anderer Stelle vorgenommen werden muss.

Bisher nur ein Planspiel

So zeigt der veröffentlichte Teil der Studie der Nymoen Strategieberatung nur, das unter bestimmten Annahmen und dem Optimierungsalgorithmus folgenden Heizungsbesitzern eine Wärmewende auch mit Gas bezahlbar möglich ist, lässt aber gleichzeitig viele Was-Wäre-Wenn-Fragen unbeantwortet. Doch genau die sind entscheidend: Würden es sie nicht tagtäglich bei ganz vielen Akteuren geben, hätte man diese Studie gar nicht benötigt, dann wäre die Wärmewende längst abgeschlossen.

Um aus dem Planspiel mehr zu machen, müsste sich die Gaswirtschaft deshalb deutlich mehr als bisher bewegen und insbesondere für die Bereiche, die sie zu verantworten hat, „Sicherheiten“ abgeben. Die dürfen auch an politische Unterstützung, jedoch nicht an finanzielle Forderungen in größerem Umfang gekoppelt sein, sonst passt es mit der „finanzierbaren Wärmewende“ nicht mehr. Offen bleibt auch, warum Biomethan und Wasserstoff überhaupt Erdgas verdrängen: Soll der Gesetzgeber den Gaskunden Nutzungspflichten oder den Gasanbietern Quoten vorgeben, verpflichtet sich der Gaswirtschaft auf Ziele oder gar ein CO2-Budget?

Der Begleitbeschluss zur Novelle des Bundes-Klimaschutzgesetztes Klimapakt Deutschland kündigt übrigens an (Auszug):

● Beschleunigter Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft durch Vorziehen der Planungen für die Bereitstellung und den Einsatz von Wasserstoff in allen geeigneten Bereichen mit dem Ziel umwelt- und klimagerechter Energiegewinnung. Ein besonderer Fokus wird auf Offshore-Wasserstofferzeugung und die erforderliche Infrastruktur gelegt.

● Im Gebäudesektor stärkere Einbindung von erneuerbaren Energien und Sanierungsoffensive mit attraktiven Fördermaßnahmen (v.a. für den sozialen Wohnungsbau) und weiteren Anreizen. Neubaustandards werden angehoben. Heizungen, die ausschließlich mit fossilen Brennstoffen betrieben werden können, werden nicht mehr gefördert. Die Kosten des nationalen CO2-Preises werden zu 50 % von den Vermietern getragen.

● Zur Finanzierung eines Teils der Ausgaben für den Klimaschutz wird der Abbau klimaschädlicher Subventionen geprüft.

Die Bundesregierung will hierzu in den nächsten Wochen ein Sofortprogramm 2022 vorlegen, das jenseits weitergehender struktureller Instrumente schnell wirksame und hoch effiziente Maßnahmen in den Fokus nimmt. ■

Siehe auch:
Wasserstoff: Wieviel Wasser wird dafür benötigt?
Grüner Wasserstoff: Selber produzieren oder importieren?
Günstiger Wasserstoff nur mit vielen Heizungswärmepumpen